Metal, Mann!

Susanne Sackl-Sharif untersucht die Inszenierung von Geschlechterverhältnissen in Metal-Videoclips

Von Rainer ZuchRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rainer Zuch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Obgleich populäre Musik schon lange in der akademischen Forschung angekommen ist, gilt dies für Metal nur eingeschränkt. Musik- und Medienwissenschaftler, Soziologen und sogar Kunsthistoriker beschäftigen sich mit Pop, Hip Hop und Punk – auch Rockmusik kommt gelegentlich vor. Metal hingegen steht für viele anscheinend immer noch in einer Schmuddelecke. Trotz der zunehmenden Popularität des Genres ist die Auffassung, es handle sich dabei um eher proletarischen Lärm, den man als Akademiker weiträumig umfahren sollte, weiterhin verbreitet – was wiederum als Ausdruck einer soziologisch zu interpretierenden Distinktionsbewegung gelesen werden kann. Die Fronten bröckeln aber beständig. In den letzten Jahren wird Metal zum Gegenstand einer zunehmenden Zahl wissenschaftlicher Untersuchungen, was auch bedeutet, dass die gar nicht so geringe Metalaffinität unter Akademikern sichtbar geworden ist: Die Forscher sind zugleich Fans.

Methodisch ergibt sich daraus das unter Soziologen und Ethnologen bekannte Problem des „Aufgehens im Feld“, welches sich aus der Spannung zwischen einer wissenschaftlich-distanzierten Analyse mit Objektivitätsanspruch und dem Umstand, dass das forschende Subjekt selbst am Feld beteiligt ist, ergibt. Man ist zugleich „drin“ und „draußen“. Eben diese teilnehmende Beobachtung aber wird im Allgemeinen als eine besonders Erfolg versprechende Methode gesehen. Der Zugang zu einem Feld ist oft nur über eine solche Teilnahme möglich, und oft hat diese erst das Interesse an einer wissenschaftlichen Analyse geweckt. Musikalische Felder wie „Szenen“ sind dafür ein gutes Beispiel. Im Metal tritt dieses Phänomen verstärkt auf, weil hier Grenzen zwischen „innen“ und „außen“ eine größere Bedeutung haben als in den meisten anderen musikalischen Feldern.

Susanne Sackl-Sharif, die mit ihrem Buch „Gender – Metal – Videoclips“ eine qualitative Rezeptionsstudie zu Genderfragen in Metal-Videoclips vorlegt, nimmt dies als einen Ausgangspunkt. Die Arbeit ist zugleich ihre Dissertation an der Universität Graz. Ihr Thema ist die Wahrnehmung und Thematisierung von Genderfragen in der Metalszene. (Dass hier durchweg von „Metal“ statt „Heavy Metal“ die Rede ist, liegt daran, dass letzterer Begriff im Zuge der Ausdifferenzierung des Genres inzwischen nicht mehr für das Ganze steht, sondern ein Subgenre bezeichnet.) Dazu führte die Autorin mit einer ausgewählten Gruppe von Metalfans Interviews, in denen sie mit ihnen über deren Metal-Sozialisation sprach, sie sich gemeinsam verschiedene Videoclips ansahen und anschließend darüber diskutierten. Leitlinie dabei war die Frage nach in der Szene herrschenden Geschlechterbildern und welche Genderaspekte die Interviewten aus den Videoclips herauslesen.

Die theoretische Fundierung der Arbeit wird ausführlich dargelegt. In der Einleitung wird der Zusammenhang mit der zunehmenden Popularisierung des Genres und der Etablierung von „Metal Studies“ an Universitäten hergestellt sowie Vorgehen und Aufbau der Arbeit erläutert. In einem ersten Teil wird Metal als ein soziales Feld nach Pierre Bourdieu aufgefasst, das sich durch die soziale Praxis der im Feld agierenden AkteurInnen und deren Habitus konstituiert. Anschließend wird das Metal-Feld über seine Geschichte und seine zunehmende Ausdifferenzierung bestimmt, wobei über eine stark ansteigende Zahl von Subgenres und Szenen eine große Zahl von Subfeldern entstanden ist. Das lässt nach Kriterien fragen, die im ganzen Feld als Konsens gelten können. Dazu werden die E-Gitarre, hohe Lautstärke, Sound, Männlichkeitskult und das Streben nach Authentizität gezählt. Sackl-Sharif erkennt aber ganz richtig, dass diese eigentlich grundlegenden Kriterien zwar eine weite Verbreitung haben, selbst diese aber nicht (mehr) das gesamte Feld abdecken.

Eine weitere Grundlage der Arbeit bilden konstruktivistische Geschlechtertheorien beziehungsweise das in unterschiedlichen sozialen Zusammenhängen vorhandene Geschlechterwissen, wie also Geschlechterverhältnisse gedacht und inwieweit darüber reflektiert wird. Anschließend wird der Stand der Videoclip- und hier besonders der Metal-Videoclip-Forschung dargelegt.

In einem dritten Teil beschreibt die Autorin ihren eigenen Zugang zum Feld und ihr Vorgehen, wozu die Auswahl der Interviewpartner, der Aufbau der Interviews und die ausgewählten Videoclips gehören. Bei der Thematisierung der musikalischen Sozialisation der InterviewpartnerInnen wiesen Männer wie Frauen überwiegend eine Differenzierung nach Geschlechtern zurück. Die Interviewten hinterfragten traditionelle Geschlechterverhältnisse und waren der Meinung, dass sie im Metal keine Rolle spielten. Wichtig sei szenekonformes Verhalten, Kompetenz, feldspezifisches Wissen und (bei MusikerInnen) musikalisches Können.

Die fünf Videoclips wurden nach den Kriterien ausgewählt, dass sie ein möglichst vielfältiges stilistisches Spektrum abdecken und unterschiedliche Inszenierungen von Geschlechterverhältnissen bieten, von dominanter „Männlichkeit“ bis zu exponierter „Weiblichkeit“. Vertreten sind die Black Metal-Band Satyricon, Avenged Sevenfold (Metalcore), Falconer (Folk- oder „Mittelalter“-Metal), Arch Enemy (Death Metal mit weiblicher Stimme) und Tarja Turunen, die frühere Sängerin der Symphonic Metal-Band Nightwish. Bei den Einzelanalysen und den Gesprächen über die einzelnen Clips spielten Genderaspekte interessanterweise eine nicht unwichtige Rolle und wurden auch für Abgrenzungen in Anspruch genommen. Wurde die erniedrigende Darstellung von Frauen in dem Satyricon-Clip von Männern wie von Frauen kritisiert, begründeten mehrere InterviewpartnerInnen ihre Ablehnung von Avenged Sevenfold oder Tarja Turunen damit, dass es sich hier um „Metal für Mädchen“ oder „Teenie-Metal“ handle, somit nicht ernstzunehmen und eigentlich auch gar kein Metal sei. Die Einstellung zu Geschlechterstereotypen verändert sich also von der Abgabe eher allgemeiner Statements hin zu konkreten Bewertungen.

Das ist ein wichtiges Ergebnis. Leider bleibt die Arbeit aber bei der Konstatierung und begrifflichen Fassung dieser Diskrepanz stehen. Man hätte nun gerne eine Reflexion darüber, was sie bedeutet und wie die interviewten MetallerInnen damit umgehen. Außerdem gehen die vorhandenen Ergebnisse etwas unter, weil der Text unter einer streckenweise recht ausgeprägten Redundanz leidet. Gelegentlich nimmt die Autorin Ergebnisse in der theoretischen Fundierung vorweg. Im Kernteil, den Videoclip-Analysen, wiederholen sich nicht selten beschreibende und analytische Details in den einzelnen Analysen, in den Evaluations-Abschnitten und in den Zusammenfassungen; mehrere tauchen dann noch einmal im Gesamt-Fazit auf. Da sowohl Evaluationen wie auch die Zusammenfassungen über Beschreibungen kaum hinausgehen, erschließt sich der Sinn dieser Aufteilung nicht ganz.

Deshalb fällt das Ergebnis nach der sehr ausführlichen Fundierung etwas mager aus. Man kann aber auch den Wunsch der Autorin nach weiteren Untersuchungen in anderen geographischen, sozialen und szenischen Zusammenhängen unterstützen, um dann zu sehen, wo deren Ergebnisse differieren und wo sie übereinstimmen. Die Arbeit stellt durchaus einen sinnvollen Beitrag zur Videoclip- und Metalforschung dar, aber sie weckt auch das Bedürfnis nach Untersuchungen, die die Kontextualisierung und theoretische Durchdringung der Ergebnisse da weiterführen, wo die Autorin bedauerlicherweise aufhört.

Titelbild

Susanne Sackl-Sharif: Gender – Metal – Videoclips. Eine qualitative Rezeptionsstudie.
Budrich UniPress, Leverkusen-Opladen 2015.
239 Seiten, 29,00 EUR.
ISBN-13: 9783863887025

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