Also seien Sie doch vernünftig

Bereits im bislang unveröffentlichten Debüt „Catt“ zeigt sich Hans Joachim Schädlichs unverwechselbare Mischung von scharfer Beobachtung und glasklarer Sprache

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hier liegt ein Romanfragment vor, das es in mehrfacher Weise in sich hat. Ungewöhnlich ist zunächst die Tatsache, dass der Erstlingsversuch eines der bedeutendsten deutschen Schriftsteller zum 80. Geburtstag nachgereicht wird, zumal der dargebotenen Text in seiner suggestiven Kraft eine Sogwirkung ausübt und unverstellte Szenen im Berlin der DDR freigibt. Zum anderen sind es die von der Herausgeberin Krista Maria Schädlich in ihrem umfangreichen Nachwort geschilderten Umstände, die das vorliegende Fragment zu einem Dokument nicht nur einer rigiden DDR-Kulturpolitik, sondern auch der deutsch-deutschen Literaturgeschichte ausweist.

„Catt“ umfasst an die 60 Seiten und war von Hans Joachim Schädlich seinerzeit entmutigt und entnervt abgebrochen worden. Die vorliegenden Handlungsstränge in ihrer erzählerischen Darstellung deuten jedoch jenen starken Roman an, der hätte entstehen können.

Catt ist eine junge Schriftstellerin in Ost-Berlin, die ihren Lebensunterhalt als Taxifahrerin verdient. Neben der alltäglichen Arbeit gibt es noch Freundschaften, die ihr Leben bestimmen. Und vor allem ist es die Suche nach Janina, einer guten Freundin, die sich im weiteren Verlauf des Romans in fiktiver Form entwickelt. Die Kunsthistorikerin Janina scheint verschwunden zu sein und niemand weiß etwas über ihren Verbleib. Bezeichnenderweise unterbleiben selbst in Catts Notizen jegliche Spekulationen über den möglichen Aufenthaltsort von Janina. Hat sie das Land etwa verlassen? Die sogenannte Republikflucht stellte in der DDR einen Straftatbestand dar. Oder war sie gar verhaftet worden? Fragen, die in „Catt“ nicht offen ausgesprochen werden. Als potentielle Möglichkeiten, über die man sich besser nicht allzu offensichtlich ausließ, wirken sie im Text in einer unterirdischen Weise und sorgen somit für eine besondere Art von Beklemmung.

Es wird von Catts Suchunternehmungen berichtet und zugleich Einblick in die Notizen der schriftstellernden Taxifahrerin gewährt. Der anstrengende Berufsalltag lässt ihr allerdings kaum Zeit für ihre Passion. Dementsprechend fallen ihre Notizen kurz und knapp aus – schlaglichtartig, wie auch die Begegnungen mit ihrer kunterbunten Kundschaft.

In konziser Prosa hingegen gelingt es Catt zu entfalten, wie das Schicksal von Janina verlaufen sein könnte. Da Janinas Freund ein Westberliner ist, der sie regelmäßig besuchen kommt, fällt sie irgendwann der Staatssicherheit auf. Die Stasi arbeitet nach konspirativen Regeln. Decknamen, anonyme Treffpunkte und die Taktik zwischen Drohung und jovialer Güte sollen auch Janina mürbe machen. Gegen ihren Willen war Janina mit einem gesichtslosen Herrn Wagner außerhalb der Stadt zu einer Begegnung gezwungen worden: „Auf dem Spaziergang sprachen sie über Krieg und Frieden, über Kapitalismus oder Sozialismus, über Janinas Arbeit und über Janina. Am Bahnhof Rahnsdorf fuhren Sie mit verschiedenen Zügen in die Stadt zurück. Janina fuhr zuerst, und Wagner sagte, Also seien Sie doch vernünftig“.

Ein Westberliner Freund, das steht für die Stasi fest, kommt mit konkreten Absichten, schließlich lebt man in einer Frontstadt. Auch am Beispiel zweier Brüder wird das Interesse der Stasi belegt. Da der westdeutsche Bruder zu Weihnachten seinen in der DDR lebenden Bruder besucht und beide in derselben Berufssparte arbeiten, wittert die Stasi mit geradezu naturhafter Selbstverständlichkeit Spionage und Verrat.

Das Ende dieses Fragments ist offen; Catt ist bei ihrer Suche nach Janina nicht weitergekommen: „Uz sagt, Du mußt warten. Es ist das einzige, was Du tun kannst“. Ein Ratschlag, der in einem Land ohne freie Wahlen und ohne freie Meinungsäußerung wie eine subtile aber vernichtende Kritik am bestehenden System klingen muss.

Im Nachwort belegt die Herausgeberin Krista Maria Schädlich ihren Vorwurf gegenüber dem Hinstorff Verlag und seinen Lektoren. Auf perfide Weise hatte dort die „Strategie der Verhinderung eines Autors durch Hoffnung, Enttäuschung, Desillusionierung seinen Anfang genommen“. Zugleich berichtet sie als Beteiligte, wie im Gegenzug die inoffiziellen deutsch-deutschen Schriftstellerbegegnungen in Ostberlin Hans Joachim Schädlich ermutigt hatten, seine Schreibversuche nicht aufzugeben. Schädlich, der bis in die 1970er-Jahre in Ost-Berlin als Linguist an der Akademie der Wissenschaften gearbeitet hatte, konnte unter dem Zuspruch seiner westdeutschen Schriftstellerkollegen 1977 im Rowohlt Verlag sein erstes Bändchen mit Erzählungen veröffentlichen.

Die in der DDR daraufhin ausgelöste Dynamik traf Schädlich und seine Familie mit voller Wucht. Er wurde jetzt realer Teilnehmer eines Szenarios, das ihn bislang in seiner literarischen Arbeit beschäftigt hatte. Die heimtückische Verbindung von Repression und Deformation war Wirklichkeit geworden. Im Dezember 1979 gestatteten schließlich die Behörden der DDR die Ausreise nach Westdeutschland.

Titelbild

Hans Joachim Schädlich: Catt. Ein Fragment.
Mit einem Nachwort versehen von Krista Maria Schädlich.
Verbrecher Verlag, Berlin 2015.
101 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783957321237

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