Wiederholung als Signum der Moderne

Rüdiger Görners Essay zur Ästhetik der Wiederholung

Von Natalie MoserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Natalie Moser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Rüdiger Görners Buch „Ästhetik der Wiederholung“ will sich gleichermaßen der ästhetischen Dimension in der Wiederholung und der Wiederholung widmen und folglich die Wiederholung sowohl als Verfahren der Kunst als auch als Kunstform verstehen. „Wiederholung ist eine Form, aber durch Wiederholung entsteht auch Form“, so Görners Formulierung, die inhaltlich wie auch stilistisch dem Prinzip der Wiederholung verpflichtet ist und auf den hermeneutischen Verweisungszusammenhang von Teil und Ganzem referiert. Görners Buch ist denn auch in einer Reihe des Wallstein-Verlags erschienen, die den Titel Kleine Schriften zur literarischen Ästhetik und Hermeneutik trägt und von Wolfgang Braungart und Joachim Jacob herausgegeben wird.

Bereits in der Einleitung treten die Beweggründe offen zutage, warum das Buch im Untertitel ‚Versuch über ein literarisches Formprinzip‘ genannt wird. Der essayistische Stil ist unverkennbar. Wer eine systematische Abhandlung über die Ästhetik der Wiederholung und/oder über ein literarisches Formprinzip erwartet, wird enttäuscht. Das favorisierte Format des Essays hindert Görner allerdings nicht an dem Versuch, die Grundlage des zeitgenössischen (europäischen?) Verständnisses von Wiederholung offenzulegen und eine Entwicklung insbesondere im Feld der deutschsprachigen Literatur der Moderne bis zur Gegenwart nachzuzeichnen.

Wie stellt sich der hundertseitige Essay mit neun Kapiteln dem großen Thema einer Ästhetik der Wiederholung? Die Fülle an Beispielen ist bereits in der Einleitung beachtlich und reicht von einem Eintrag aus den „Tag- und Nachtbüchern“ des Kierkegaard-Übersetzers Theodor Haecker über Bedrich Smetanas „Die Moldau“ bis hin zum Sketch „Dinner for One“. In Görners Essay werden Überlegungen zum Phänomen der Wiederholung unmittelbar am Beispiel entwickelt. Die einzelnen Kapitel verfügen über einen Schwerpunkt wie beispielsweise die Wiederholung als existenzielles philosophisches Problem bei Søren Kierkegaard (Kapitel 1) und das Verhältnis von Genie- und Wiederholungsästhetik (Kapitel 2), worauf die Ausführungen zur Bedeutung der Wiederholung in der Literatur des 20. Jahrhunderts in den anderen Kapiteln aufbauen.

Görner spricht von einem Potenzial der Wiederholung, das in zwei Richtungen verwirklicht werden kann: „Wiederholungen eignet etwas Konsistentes, wobei unklar ist, was davon zur Selbstvergewisserung beiträgt und was zur Abstumpfung.“ Dass Görner die Möglichkeit, durch Wiederholungen abzustumpfen für wahrscheinlicher hält, zeigt folgendes Zitat: „Die Schwierigkeit besteht darin, den Gegenstand der Wiederholung und das Wiederholen selbst als ästhetische Phänomene zu begreifen.“ Bereits in der Einleitung des Essays führte Görner aus, weshalb die Wiederholung als ästhetisches Prinzip wahrnehmbar werden konnte: „Erst die Wahrnehmung von Wiederholungsphänomenen im Alltag erlaubt die Wertschätzung von Wiederholung als Motiv in den Künsten.“ Die Vertrautheit mit Wiederholungen im Alltag sensibilisiert für die Wahrnehmung der Wiederholung in den Künsten, während die Wiederholungen in der Kunst der Moderne dem repetitiven Alltag zur Sichtbarkeit verhalf. „Wiederholung als ein prominentes Merkmal des Alltäglichen, die ungezählten und selten reflektierten wiederholten Handgriffe zum Beispiel, sie wurden erst in der künstlerischen Darstellung zu einem Phänomen in der Moderne.“ Gemäß Görner haben die veränderten Lebensbedingungen wie die Industrialisierung und ihre repetitiven Produktionsverfahren den entscheidenden Impuls gegeben, dass die Wiederholung zum prägenden Formprinzip (in) der Kunst der Moderne werden konnte.

Dass die Wiederholung nicht nur als Form- und Darstellungsprinzip, sondern auch als Produktionsprinzip seit dem 19. Jahrhundert laufend an Bedeutung gewonnen hatte, deutet Görner unter anderem hinsichtlich der Fernsehserien und der Verkürzung des zeitlichen Abstandes zwischen Erst- und Zweitaustrahlungen von Fernsehsendungen an. Aktuelle Forschungsarbeiten zur seriellen Produktion und ihrer Ästhetik werden dabei allerdings nicht berücksichtigt. Stattdessen räumt er in seiner Studie viel Platz einem ‚mnemontologischen Exkurs‘ ein, der sich ausführlich der Erinnerungsthematik und lediglich am Rande der Wiederholung beziehungsweise ihrer Funktion für die Erinnerung widmet. Dieses Kapitel zeigt ein weiteres Mal Görners implizites Anliegen, neben der ästhetischen insbesondere die lebensweltliche Dimension der Wiederholung zu betonen. Die Wiederholung wird als ästhetische Erfahrung und letztlich trotz allem mehr als „Existenzialie“, denn als Form- und Darstellungsprinzip verstanden.

Görners Praxis, für seine Ausführungen auf eigene frühere, in den Fußnoten genannte Artikel zurückzugreifen und seine Ideen und Formulierungen zu recyclen, steht wiederum in einem, wenn auch etwas anderen, will sagen: pragmatischen Bezug zur Thematik der Wiederholung. Mit einem Plädoyer für die Möglichkeit zur Wiederholung und indirekt für das im Untertitel genannte Formprinzip der Wiederholung endet Görners Essay. Mögen Görners Schlaglichter auf und Denkanstöße zur Wiederholung eine Wieder-Holung erfahren und in weiteren Untersuchungen aufgegriffen und vertieft werden.

Titelbild

Rüdiger Görner: Ästhetik der Wiederholung. Versuch über ein literarisches Formprinzip.
Wallstein Verlag, Göttingen 2015.
110 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783835317598

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