Masse und Klasse

Zwei ausstellungsbegleitende Publikationen zu „500 Jahre Reformation“ aus Mainz und Torgau im Vergleich

Von Jürgen RömerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jürgen Römer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das 500. Jubiläum der Luther’schen Thesen wird uns noch geraume Zeit beschäftigen und das tut es schon seit mittlerweile vielen Jahren. Die Neuerscheinungen dazu können nur noch in laufenden Metern dargestellt werden, Ausstellungen werden in Hülle und Fülle präsentiert, von der lokalen Initiative einzelner Menschen bis hin zu Großunternehmen von nationalem Rang. Die beiden hier vergleichend zu besprechenden Austellungskataloge – es wird nicht um die Ausstellungen selbst gehen! – reihen sich in dieses letztgenannte Panorama eher in der oberen Mitte und in der Spitzengruppe ein, sowohl was die Ausstattung mit Mitteln als auch mit sachkundigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern angeht.

Beginnen möchte ich mit dem Band „Schrei nach Gerechtigkeit“. Es ist nicht selbstverständlich, dass eine zutiefst katholisch geprägte Einrichtung wie das Dom- und Diözesanmuseum Mainz sich einem solchen Thema in der vorliegenden Breite widmet. Im Zentrum des schön gemachten, gut in der Hand liegenden Bandes steht die regionale Vorgeschichte der Luther’schen Reformation, stehen somit Reformvorstellungen und -pläne, die es seit dem 15. Jahrhundert an vielen Orten gab. Unzufriedenheit mit vielen Phänomenen des gesellschaftlichen und kirchlichen – wenn diese etwas artifizielle Trennung gestattet sei – Lebens war durchaus verbreitet. Mitnichten war es so, wie es ein lutherbegeistertes 19. Jahrhundert es sich mit Fernwirkungen bis heute vorstellte: dass da eine im Mark faule Amtskirche, die all diese Reformwünsche und Proteste dekadent und ignorant überhört hatte, unter den wuchtigen Hammerschlägen des reformatorischen Heros an die Wittenberger Kirchentür sofort zusammenbrach und unmittelbar die Neuzeit begann. Das wissen wir schon lange, und dieser Band zeigt auf anschauliche, gut konsumierbare und zugleich wissenschaftlich zuverlässige Weise, wie es sich in einer bestimmten, dazu zentralen und wichtigen Region des Reiches, am Mittelrhein im weiteren Sinne, verhielt. Seine Materie ist in vier Hauptkapitel gegliedert, die sich mit Herrschaft in diesem Raum, mit dem „Schrei nach Gerechtigkeit“, Wirtschaft und Kunst sowie unter der Überschrift „Bedenck das End“ mit der Frömmigkeit in ihren vielen Formen befassen.

Diese vier Schwerpunkte sind durchaus verschieden gewichtet. Im Zentrum steht ganz eindeutig die aus vielen Blickwinkeln erfolgende Beschreibung und Darstellung des „Schreis nach Gerechtigkeit“. Hier fächern ausgewiesene Fachleute rechtliche Fragen, solche der zeitgenössischen Theologie und Laienfrömmigkeit und des Schulwesens auf. Dazwischen finden sich immer wieder Texte über einzelne Protagonisten der Zeit, die klug aus der Region gewählt sind. Sie verleihen der mitunter trockenen und grauen Materie immer wieder Leben und Farbe. Der erste und die beiden abschließenden Teile sind entsprechend aufgebaut, wenn auch mit teils deutlich weniger Texten – ebenfalls aus profunden Händen – und Exponaten. Die unvermeidlichen und zumindest für die Forschung durchaus wichtigen Exponatbeschreibungen sind passend zu den jeweiligen Kapiteln eingefügt, so wie es schon lange gängige Praxis in vergleichbaren Werken ist. Es ist hier nicht sinnvoll, einzelne Beiträge oder Exponate intensiver zu würdigen, vielmehr sei der skizzierte, in sich geschlossene und auch in gedruckter Form noch übersichtliche Aufbau des Bandes, der durchaus den Gang durch die Ausstellung nachträglich erlebbar macht, in den Fokus gerückt. Da kann der voluminöse Ausstellungskatalog vollkommen überzeugen, bei dem Schwachpunkte nicht zu entdecken oder gar zu bemängeln sind. In dieser Geschlossenheit mag er exemplarisch auch für andere Regionen stehen und entwirft so ein weit über den Mittelrhein hinaus bedeutendes Bild.

Das zweite zu besprechende Werk macht den Zugang schwerer. Hier sind wir in der obersten Liga der Reformationsfeierlichkeiten angelangt. Die große Ausstellung an einem wichtigen Ort der Reformation, Torgau, wurde mit sicher wesentlich größeren Summen unterstützt als das Mainzer Projekt. Der Anspruch ist dementsprechend auch ein anderer. Hier geht es um weit mehr als eine Region, vielmehr wird hier in vielen Beiträgen eine europäische Ebene betreten. Dies kontrastiert bisweilen auf eine interessante Weise mit den eher regionalen Beiträgen, die vor allem im Aufsatzband einen breiten Raum einnehmen.

Die beiden Teilbände sind unterschiedlich aufgebaut. Im Aufsatzband sind thematische Schwerpunkte gebildet mit den Stichworten „Luther und die Politik“, „Kunst und Kultur“ – etwas nichtssagend –, „Kunst und Konfessionspolitik – Sachsen, Bayern, Pfalz“ und schließlich „Das Reich“. Diese Schwerpunkte auf den heute ostdeutschen Zentralregionen der Reformation sind für den Leser aus anderen Teilen des Landes etwas ermüdend, vor allem dann, wenn vorher Heinz Schilling, Athina Lexutt oder Bernd Roeck wesentlich weitere Perspektiven in ihren sehr lesenswerten Beiträgen eröffnet haben. Erst am Ende des Bandes, als es auch um die Habsburger beispielsweise geht, wird der Blick wieder geweitet, der vorher sehr eng auf Sachsen gerichtet war. Damit wird der Aufsatzband seinem Anspruch, nicht alleine sächsische Reformationsgeschichte darstellen zu wollen, wieder besser gerecht.

Der Katalogband ist nach den zwei Ausstellungsorten in Torgau gegliedert, dem Schloss Hartenfels und der kurfürstlichen Kanzlei. Als dritter Ort findet sich die Superintendentur erwähnt. Auch in diesem Band finden sich Aufsätze, unter anderem vom Vorsitzenden des Rates der EKD Heinrich Bedford-Strohm. Hinzu kommen einleitende Vor- und Geleitworte von Monika Grütters, Stanislaw Tillich und anderen. Die Beschreibungen der hier in großer Fülle versammelten Exponate füllen den weitaus größten Teil des Bandes, der wie sein Zwilling in Schweizer Broschur hergestellt ist, die sich nicht gut anfasst und für ein solches Format und Gewicht nach meiner Auffassung schlicht ungeeignet ist. Warum an dieser Stelle ein vergleichsweise kleiner Geldbetrag für eine feste Bindung zu Gunsten einer Klebung eingespart wird, erschließt sich nicht, denn es schadet der Wertigkeit der beiden Bände ganz erheblich, woran auch der stabile Pappschuber nichts zu ändern vermag.

Einen roten Faden konnte ich in den beiden Torgauer Bänden nicht immer im Auge behalten, gelegentlich verlor er sich in den vielen, vielleicht hier und da zu vielen Exponaten. Während der Mainzer Band, in kluger Beschränkung auf seine Region, eine Geschichte zu erzählen vermag, durch die Texte und Bilder hindurch, bleiben die beiden Torgauer Bände daneben erstaunlich blass. Das soll nicht etwa bedeuten, sie seien nicht gut gemacht – von der Bindung abgesehen –, aber hier war es vielleicht etwas zu viel des Guten. Daneben ist die Verbindung zwischen dem Aufsatz- und dem Katalogband nur eine mittelbare, woran auch Verweise nichts ändern. Das Urteil über die Torgauer Bände würde sicher etwas positiver ausfallen, wenn sie sich zu ihren Hauptregionen, also insbesondere zu Sachsen, im Untertitel bekennen würden. Dass und wie es geht, zeigt der Mainzer Band.

Will man die auf beiden Titelbildern abgedruckten „Luther-2017“-Logos auch als eine Art Qualitätsmarke betrachten, so erfüllen beide vorgestellten Publikationen die gängigen Standards sicherlich. Die Bände „Luther und die Fürsten“ können aber die – allerdings aus meiner Sicht herausragende – Qualität des Mainzer Gegenübers nicht ganz erreichen. Wie so oft, dürfte hier gelten, dass weniger mehr gewesen wäre.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Dirk Syndram / Yvonne Wirth / Doreen Zerbe (Hg.): Luther und die Fürsten. Selbstdarstellung und Selbstverständnis des Herrschers im Zeitalter der Reformation.
Sandstein Verlag, Dresden 2015.
360 Seiten, 38,00 EUR.
ISBN-13: 9783954981588

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Titelbild

Winfried Wilhelmy: Schrei nach Gerechtigkeit. Leben am Mittelrhein am Vorabend der Reformation.
Anlässlich der Ausstellung ‚Schrei nach Gerechtigkeit. Leben am Mittelrhein am Vorabend der Reformation‘ im Bischöflichen Dom- und Diözesanmuseum Mainz vom 5. September 2015 bis zum 17. Januar 2016.
Verlag Schnell und Steiner, Regensburg 2015.
487 Seiten, 37,00 EUR.
ISBN-13: 9783795429652

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