Eine Schweiz von Korrespondenzen

Die postalische Dichterbeziehung zwischen Claire Goll und Rilke

Von Stefanie PhilippRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Philipp

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Manch junger Mann auf Don Juans Pfaden könnte sich Inspiration holen bei den metaphorischen Liebesschwüren Rilkes an Claire Goll; und manche junge Frau würde sich gerne so hemmungslos ihrer Verliebtheit und Bewunderung hingeben, zumal einem so poetischen Geist wie Rilke - könnte man meinen, wenn man sich dieses Zeugnis einer (mehr oder weniger) platonischen Beziehung in Briefform zu Gemüte führt.

Die Korrespondenz zwischen Rainer Maria Rilke und Claire Goll wird zum ersten Mal aus den im Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Neckar befindlichen Originalhandschriften veröffentlicht. Die "Dichterbeziehung" scheint aus heutiger Sicht elitär angelegt zu sein, jedoch bietet die Veröffentlichung mehr als nur bloße Wiedergabe der Schriftstücke: Der Band enthält neben den Briefen sieben Gedichte Rilkes in französischer Sprache, die er im Februar 1924 als kleines handgebundenes Buch an Claire Goll gesandt hat und die 1926 unter dem Titel "Verges" in der "Nouvelle Revue Française" gedruckt wurden, ebenso das bisher unveröffentlichte und lange verschollen geglaubte Manuskript "Gefühle". Verse von Claire Studer. Darüber hinaus werden dem Leser im Anhang und im Nachwort von Barbara Glauert-Hesse ausführliche Hintergrundinformationen und Erklärungen zum Verständnis des Liebesgeflüsters beider Literaten geliefert - eine beachtliche editorische Leistung.

Geheimnis, Klarsicht und Überschwang, Pathos und Kitsch: Alles durchdringt sich hier wie oft bei Rilke. Der anfänglichen Leidenschaft einer 28-jährigen aufstrebenden Dichterin für den 43-jährigen, bereits etablierten Rilke ("Die Arme tun mir weh von all den zurückgehaltenen Zärtlichkeiten gestern", 24.7.1919) folgt gottesähnliche verklärende Verehrung: "Ach, sei gütig, komm doch, bring mir nur auf eine Stunde Deine Hand mit, damit ich sie anbeten kann. Denn um Dich selbst anzubeten, bräuchte ich ein ganzes Leben; Du weißt es ja, daß ich seit 8 Jahren noch nicht wagt zu erfahren ob Du es bist oder der liebe Gott." Es wäre Unsinn, zu behaupten, dass in der Zwischenzeit die Intensität der Liebe gelitten habe. Aber es ist keine Frage, dass Metaphern aus der Mode geraten sind, die manchen Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts noch zur Verfügung standen, als befände sich Hölderlins Hyperion immer noch im Dialog mit Diotima.

Die Tatsache, dass dies Briefe von Dichtern sind, macht es schwer, dem einen Wert beizumessen, sind sie doch nicht mit der Intention verfasst, von einem Publikum eingesehen zu werden. Jedoch zeigen sie dem interessierten Leser, dem Lyrikfan, wie ausgefeilt und elaboriert die Sprache auch im Privaten war.

Der Leser hat das Gefühl, heimlicher Beobachter zu sein, die Entwicklung der Beziehung mitzuverfolgen, das private Leben, die Interessen beider aus erster Hand zu erfahren. Man glaubt, in eine ganze Familiengeschichte involviert zu sein. Kurz vor dem ersten Treffen Claires mit Rilke schaut sie bei Paul Klee und Gattin vorbei. Anton Kippenberg, Verleger Rilkes und Inhaber des Insel Verlags, gehört zum engeren Vertrautenkreis beider; Tänzerinnen, Schauspielerinnen sowie Dichterinnen und Autorinnen, kurz die High Society, sind Teil des Lebens von Goll und Rilke. Dem Leser wird also ebenso ein Einblick in die Zeitgeschichte gewährt, den sonst kein Geschichtsbuch oder Roman bieten kann.

Titelbild

Barbara Glauert-Hesse (Hg.): Ich sehne mich sehr nach Deinen blauen Briefen. Rainer Maria Rilke und Claire Goll. Briefwechsel.
Wallstein Verlag, Göttingen 2000.
213 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3892444048

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