Weiblichkeit - das Andere des Ontischen

Vom männlichen Wersein zum weiblichen Mitsein

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine "Phänomenologie der Männlichkeit" - das klingt zunächst nicht uninteressant. Doch Vorsicht! Hier wird geheideggert. Daher sei vorweg potentiellen Lesern und Leserinnen, die nicht mit Heideggers Terminologie vertraut sind, angeraten, zunächst zu dessen "Sein und Zeit" (1927) zu greifen. Andernfalls werden sie Eldreds "Phänomenologie" schnell frustriert zur Seite legen. Schließlich versteht sich sein Unternehmen der Geschlechterontologie "als eine Konkretion des Denkens von 'Sein und Zeit' in die Richtung der Geschlechtlichkeit." Eldreds Geschlechterontologie ist ein eigenwilliger Entwurf, mit dem er sich vollkommen außerhalb jedes geführten gender-Diskurses stellt.

Weit davon entfernt, eine kritische Haltung einnehmen oder gar verändernd intervenieren zu wollen, wird er vielmehr von reinem Erkenntnisinteresse umgetrieben. "Es wird hier weder eine Kulturkritik propagiert, in deren Namen die verpanzerten Männer sich öffnen sollen, noch wird psychologisch beschrieben, wie Männern in ihrer Einsamkeit der Weg zu ihrer Innenwelt und ihren Gefühlen oder zur Liebe verbaut sei."

Sein Werk hat auch beileibe nichts mit Empirie zu tun: "In der vorliegenden Abhandlung wird keine Geschlechterontologie als eine Ontologie des geschlechteten Lebens in der leiblichen Differenz von Mann und Frau anvisiert."

Ihm geht es, wie Philosophen stets, ums Ganze. Bei einem solchen Unternehmen gelangt ein Autor auch schon mal zu tiefschürfenden Erkenntnissen: "Das Versagen als Scheitern verweist in erster Linie auf einen Mangel an Erfolg." Es sei ihm nachgesehen. Anderes wiegt schwerer. Gelegentlich wird nichts weiter als zwar guter, aber alter Wein in noch älteren, lange schon maroden Schläuchen heideggerschen Jargons kredenzt. So etwa, wenn Eldred ausführt, "daß der männlich Seiende als solcher nur in der Sprache ist [...] der männlich Seiende west [...] als die ein Lebendes habende Rede, d.h. als das Lebende, das von der Sprache in Besitz genommen und darin aufgehoben und damit ins Sein gerufen ist." Das Ganze erinnert doch allzusehr an das bekannte Diktum Judith Butlers, daß es keinen Täter gibt hinter der Tat. Zumindest ebenso althergebracht ist Eldreds These vom Ende der Geschichte, mit der auch er nichts weiter meint als die nicht gerade neue Erkenntnis, daß es zu Ende ist mit Geschichtsphilosophie - oder, wie Lyotard sagt, mit den Metaerzählungen. Geschichtsphilosophie hatte bekanntlich schon in einigen klugen Köpfen des 19. Jahrhunderts abgehalftert. Auch erinnert Eldreds Mythos des Phallus vehement an Lacans metaphorischen Begriff des Phallus. Wenngleich Eldred sicherlich jegliche Gemeinsamkeit weit von sich weisen würde, ist ihm doch mit Heidegger Metaphorik stets begründet in Metaphysik und somit Teil des Grundübels der gesamten abendländischen Misere.

Der Metaphysik ist auch der gender-Diskurs ausnahmslos verhaftet, so jedenfalls Eldred: "Trotz der vielen Gesten des postmodernen feministischen Diskurses, bereits jenseits der Metaphysik zu sein, läßt sich leicht zeigen, daß er tief und fraglos in der Metaphysik noch steckt, da der Sinn der Frage nach der Männlichkeit und Weiblichkeit als Seinsweise am Horizont des Feminismus bis heute gar nicht erschienen ist." Um dem Verdikt, Metaphysik zu betreiben, zu entkommen, müßten die gender-Theoretikerinnen also vom Sein ausgehen. "Diese Hinwendung [...] hat der Feminismus jedoch nie vollzogen, da ihm der kleine Unterschied zwischen Sein und Seiendem nie aufgegangen ist, so daß er bisher überhaupt nicht nach Männlichkeit und Weiblichkeit als Seinsweisen gefragt hat." Mit dem vernichtenden Vorwurf, Metaphysik zu betreiben, sollen gender studies auf wenigen Zeilen abgetan und ad acta gelegt werden. Doch schnell und fraglos wird deutlich, daß Eldred sie kurzerhand über den Leisten seines eigenen, d.h. heideggerschen Metaphysikbegriffs schlägt und nur so zu seinem Verdikt gelangen kann. Lange schon ist der Metaphysikvorwurf eine beliebte Bezichtigung im Streit der Philosophen, anwendbar auf alle und jeden, wenn man je selbst bestimmt, was Metaphysik denn sei. So wurde schon Heidegger getroffen und so ließe sich auch Eldreds Phänomenologie treffen. Und dazu ist es nicht unbedingt notwendig, sich jeweils auf der Höhe der kritisierten Philosophie zu bewegen. Wenig erfährt man hier über den tatsächlichen Stand der gender-Diskurse.

Eldreds Weg der Analyse der 'Männlichkeit' führt den Autor auf 260 Seiten zur "transzendenten Weiblichkeit" als dem Anderen der "ontischen Männlichkeit", nicht unversehens, sondern mit einer gewissen Folgerichtigkeit. Zunächst bestimmt er Männlichkeit als "Wersein" ganz im Sinne des umgangssprachlichen "Man (oder besser: Mann) ist wer!". Dieses "Wersein" ereignet sich als "wehrhaftes" im "Werseins-Raum", der Polis. Dort begegnen sich die "männlich Seienden" im "kämpferischen Gegeneinander", wofür Eldred den Neologismus "agonistisch" prägt. Hierbei handelt es sich um die eigentliche Daseinsweise des 'männlichen' Menschen. Über "sachliche Verbundenheit" und "ausgegrenzte Zuneigung" eröffnet sich - nicht entwicklungslogisch, sondern darstellungsgemäß - die Möglichkeit Freundschaft. Hier scheint 'Weiblichkeit' bereits vor. Mehr noch, Menschen, auch Männer, sind zur Freundschaft nur fähig, sofern sie 'weiblich' sind. Denn das "männlich Wersein" schließt Freundschaft schlechthin aus. Sie wird erst ermöglicht durch das "weibliche Mitsein". Das scheint originell, doch ist durch alle Eigentümlichkeiten des Jargons die Nähe zu Levinas philosophischer Ethik des Anderen nicht wirklich zu verbergen.

Vom für sich selbst stehenden "Wersein des Männlichen" gelangt Eldred zum sich an dieses anlehnende "enklitische Weibliche". Zwar meint er hiermit, daß 'Weiblichkeit' die positiv besetzte Möglichkeit von Nähe und Anlehnung allererst eröffne, und nicht das alte Klischee des anlehnungsbdürftigen Weibchens, doch bleibt er diesem bedenklich nahe.

Das "enklitische Weibliche" wird verstanden "als die unscheinbare Dimension dazwischen, in der Begegnung stattzufinden vermag. Weiblichkeit ist somit die ursprüngliche, nicht zum Stand zu bringende Dimension des Mitseins. Damit erlangt sie einen ontologisch-transzendenten Rang als Seinsdimension". 'Weiblichkeit' weist also über das 'männliche Sein' hinaus, befindet sich jenseits des 'männlichen' Gegeneinanders und ermöglich Miteinander, ja ist es in gewisser Weise selbst. Das klingt beinahe unverfänglich. Doch wird 'Weiblichkeit' auch hier einmal mehr über die angeblich vorgängige 'Männlichkeit' definiert. Sie ist wiederum nur das bloß Andere des 'Eigentlichen', 'Primären', des Ontischen, des 'Männlichen' eben. Das alles ist nicht neu. Frauen waren für Philosophen stets das Andere. Auch für Philosophen, muß man leider sagen. Man kennt es schon zum Überdruß. Ebenso, daß dieses Andere nur um des 'Ursprünglichen' willen vorhanden ist, des Mannes nämlich, oder hier der "männlich Seienden", denen, so Eldred, die 'Weiblichkeit' dazu dient, einen angenehmeren Umgang miteinander zu finden.

Die "Phänomenologie der Männlichkeit" stellt wohl kaum einen fruchtbaren Ansatz im Rahmen der gender-Diskurse dar. Und eine gewisse Faszination, die das Buch als Obskurität zunächst ausstrahlt, verliert sich bald, so daß gender-Theoretikerinnen, und nicht nur sie, es schnell aus der Hand legen werden - selbst wenn sie mit "Sein und Zeit" aufgewachsen sein sollten.

Titelbild

Michael Eldred: Phänomenologie der Männlichkeit: kaum ständig noch.
Röll Verlag, Dettelbach 1999.
266 Seiten, 29,70 EUR.
ISBN-10: 3897541378

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