"Perverse Praxis gegen falsche Theorien"

Dietmar Daths Roman "Für immer in Honig"

Von Gunther NickelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gunther Nickel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Entstehungsgeschichte von Dietmar Daths Roman "Für immer in Honig", der unter emphatischen Dath-Lesern als dessen opus magnum gehandelt wird, beginnt, wenn man so will, mit der Erfindung eines Unternehmens. Werner Labisch und Jörg Sundermeier waren begierig nach der Lektüre von noch unbekannten, zu entdeckenden Texten und gründeten, um sie frei Haus geliefert zu bekommen, kurzerhand einen Verlag. Weil sie wenigstens andeuten wollten, dass ihr Geschäft in nichts weiter als einer Gaunerei zu vergleichsweise lauterem Eigennutz bestand, gaben sie ihm den Namen Verbrecher Verlag. Eines Tages flatterte ihnen ein Umschlag aus Freiburg mit einem Manuskript ins Haus, das den Titel "Cordula killt Dich! oder Wir sind doch nicht die Nemesis von jedem Pfeifenheini. Roman der Auferstehung" trug. Es begeisterte sie so sehr, dass sie beschlossen, aus dem Spaß Ernst zu machen und das Buch tatsächlich zu verlegen. Bei der Produktion ging dann so ziemlich alles schief, was schief gehen kann. Die Typografie ist derart grauenvoll, dass man das Buch kaum lesen mag, und es strotzt überdies vor Tippfehlern, weil statt der letzten Korrektur versehentlich die vorletzte in Druck ging. Seitdem ist aber immerhin ein Text im Buchhandel greifbar, den in seiner wilden Mischung aus Erzählung, politischem Traktat, wissenschaftstheoretischer Polemik und ästhetischer Standortbestimmung wohl jeder etablierte Verlag sofort mit seinem Standardabsagebrief quittiert hätte. Seitdem gibt es auch einen wackeren Kleinverlag mehr, denn Labisch und Sundermeier blieben der Verlegerei bis heute treu.

"Cordula killt Dich!" sollte den ersten Teil einer "Hexalogie" bilden, deren Abschluss für 2010 geplant war. Das jedenfalls kündigte Dath 1995 vollmundig an. Keiner der weiteren fünf Teile wurde indes geschrieben, geschweige denn veröffentlicht. Das Vorhaben ging vielmehr in dem rund 1.000 Seiten umfassenden Roman "Für immer in Honig" auf. Er handelt unter anderem von gewalttätigen Rechtsradikalen in der badischen Provinz sowie von Zombies und Dämonenjägern. Ausflüge in gesellschaftstheoretische, musik- und literarästhetische Debatten sind ebenso enthalten wie Bezugnahmen auf amerikanische Fernsehserien, die zwischen Fantasy und Science fiction changieren, allen voran auf "Buffy, the Vampire Slayer". Wenn man einen Roman als postmodern bezeichnen muss, dann auf jeden Fall diesen.

Verwunderlich erscheint allerdings, dass sein Autor postmodernen Theorien gar nichts abgewinnen kann, sich statt dessen auf Karl Marx, Friedrich Engels und Lenin beruft, literarisch für einen Klassizisten wie Peter Hacks stark macht und inzwischen sogar im Kuratorium der "Stiftung Neue Klassik" einen Platz einnimmt. Das alles ist dem Roman keineswegs äußerlich, denn Hacks wird dort mit Hinweis auf einen Artikel gepriesen, den Dath über ihn in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" veröffentlicht hat. Und um die völlige Überschätzung aller postmodernen Theorievarianten vom "Tabu-Zertrümmerungs-Spießer" Michel Foucault bis zum Dekonstruktivismus zu beweisen, initiiert einer der Protagonisten unter dem Motto "Perverse Praxis gegen falsche Theorien" ein amüsantes soziales Experiment, mit dem er Zeichen gegen die Überschätzung der Zeichen setzen will. Wie würde, lautet dabei die Frage, ein dreißigjähriger Diskursanalytiker, für den die ganze Welt nur aus lauter Signifikanten und ihren Effekten besteht, reagieren, wenn ein gleichaltriger Bekannter, mit dem er sonst keine Probleme hat, plötzlich mit einem ganz unglaublich jungen, auf jeden Fall minderjährigen Mädchen auftaucht und ungeniert zu verstehen gibt: "Das hier ist meine Freundin, mit der hab' ich was Ernstes, die ist sexy wie die Hölle." Wer es sich nicht recht ausmalen kann, wie besagter Diskursanalytiker und sein Umfeld reagieren dürften, der kann es in "Für immer in Honig" nachlesen. Dath schildert es dort genüsslich, polemisch, entlarvend und mit einer Dramaturgie, die einen mühelos über einen verregneten Sonntag hinweghilft.

Den Widerspruch zwischen seinen theoretischen Vorlieben und seinem Eintreten für Hacks auf der einen Seite sowie seiner literarischen Praxis auf der anderen übersieht Dath übrigens nicht. In seiner vor kurzem erschienenen Streitschrift "Maschinenwinter" meint er aber, ihn auflösen zu können, indem er die Trennung von formaler Eigengesetzlichkeit der Kunst und deren Weltbezug als undialektisch zurückweist. Besteht aber und erschöpft sich in diesem Gegensatz tatsächlich die Opposition von Klassik und Romantik (die die Postmoderne als Spielart der Romantik verstanden)? Wohl kaum. Dennoch sind solche Versuche Daths, unerforschte Wege auf ihre theoretische Tragfähigkeit und literarische Begehbarkeit hin zu testen, allemal spannender als das Schlagen alter Schlachten in lediglich neuen Kostümen. Und ganz abgesehen davon verlangen auch gar nicht alle Widersprüche unbedingt nach einer Auflösung, zumindest dann nicht, wenn sie literarische bleiben. Im paradoxen Unterfangen, eine Kritik der Postmoderne ausgerechnet in einem postmodernen Roman wie "Für immer in Honig" zu verpacken, besteht schließlich gerade jener spannungsvolle Reiz, der das Buch nicht ärmer, sondern reicher macht.

Erschienen ist es erstmals 2005 im Implex Verlag, den die Chemikerin und Science-Fiction-Autorin Barbara Kirchner 2003 eigens gründete, um Daths Essay "Sie ist wach. Über ein Mädchen, das hilft, schützt und rettet" zu veröffentlichen (eine, wie wenigstens angemerkt sei, äußerst instruktive Verteidigung des kulturindustriellen Charakters der Kultfernsehserie "Buffy" gegen ideologiekritische Einwände). Die erste Auflage mit nicht einmal 1.000 Exemplaren war schnell vergriffen, eine zweite ließ bislang auf sich warten. Man fand "Für immer in Honig" hin und wieder antiquarisch, dann aber mitunter zu Preisen von weit über 100 Euro. Jetzt hat der Verbrecher Verlag den Roman endlich neu aufgelegt. Und weil mit der Gründung dieses Verlags die Geschichte des Romans ja letztlich ihren Anfang genommen hat, ist der Titel, obwohl Dath längst zur Suhrkamp-Autorenriege gehört, dort auch ganz am richtigen Ort.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text erschien erstmals in "Volltext. Zeitung für Literatur", Nr. 5/2008. Wir danken dem Autor für die Publikationsgenehmigung.


Titelbild

Dietmar Dath: Für immer in Honig. Roman.
mit Illustrationen von Daniela Burger.
Verbrecher Verlag, Berlin 2008.
1035 Seiten, 32,00 EUR.
ISBN-13: 9783940426024

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Titelbild

Dietmar Dath: Maschinenwinter. Wissen, Technik, Sozialismus. Eine Streitschrift.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
130 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783518260081

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