Literatur für „Zeit“-Leser

Harald Martenstein will die Liebesbeziehungen moderner Großstädter beschreiben. Heraus kommt Antifeminismus und nebenbei der Roman für die Republik der Kristina Schröder

Von Max BeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Max Beck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jede Zeitung hat den Kolumnisten, den sie verdient. Leser des „Stern“ bilden sich beim „Zwischenruf“ von Hans-Ulrich Jörges, die der „SZ“ beruhigen ihr Gewissen mit Dr. Dr. Rainer Erlinger. Und Leser der „Zeit“ haben Harald Martenstein, den Franz Josef Wagner für Bildungsbürger, der Ressentiments und Banalitäten in Kolumnen schreibt, für den gleichen Mist aber deutlich mehr Wörter braucht. Darüber hinaus betätigt er sich als Buchautor. Mit „Gefühlte Nähe“ bedient er nun das Genre der „Männerliteratur“.

Erzählt wird das Leben der weiblichen Person N., deren vollen Namen der Leser nicht erfährt, aus der Sicht ihrer 23 Liebhaber von der Schulzeit bis ins Rentenalter. Ihren ersten Geschlechtsverkehr hat N. auf Klassenfahrt mit ihrem Lehrer, ihre letzte Liaison mit einem im Urlaub gekauften Liebhaber. Dazwischen liegen zahlreiche weitere Beziehungsgeschichten, deren Essenz meist eine monotone Abfolge von Sexszenen und minder geistreichen Gesprächen ist. Martenstein beschränkt sich darauf, Dialoge zu fabrizieren, die wohl irgendwie komisch sein sollen, letztlich aber nur Zeugnis für die Gedankenarmut ihres Urhebers sind.

Zum Glück gibt es die „FAZ“, die noch weiß, was das Land an einem Kolumnisten und Autor vom Schlage Martensteins hat. Der Kritiker der „Zeitung für Deutschland“ zeigt sich begeistert und steigert sein Lob, bis es nicht mehr weiter geht: Martenstein, „dieser versierte Mythologe des Alltags“, habe den Roman auf das „allerschönste“ geschrieben. Nur eines missfällt dem Rezensenten: N. erstellt während ihres ganzen Lebens immer wieder Mixtapes, „darunter tatsächlich auch solche mit fragwürdigem Inhalt: Element of Crime“. Der Rezensent des Deutschlandfunks will gar „pointierte Monologe“ im Roman ausgemacht haben. Wo, behält er leider für sich.

„Es ist eigentlich kein Roman über eine Frau, sondern ein Roman über die Männer“, sagt Martenstein in einem Video auf der Internetseite seines Verlages, in dem er seinen literarischen Ansatz erklärt. Da ist ihm nur zuzustimmen. Er sehnt sich wohl eine „Männerförderung“ à la Kristina Schröder herbei. Zumindest das anklagende Gerede seiner männlichen Protagonisten über „schwer feministische“, „verbitterte“ und „bösartige“ Frauen lässt das vermuten. Und auch in seiner Kolumne gibt Martenstein zu Protokoll: „Was mir lediglich auffällt, ist, dass wir älteren Herren inzwischen die einzige Gruppe sind, auf der jeder herumhacken darf, ohne dass ihm oder ihr Diskriminierung vorgeworfen wird.“

Martenstein ist ein sehr deutscher Kolumnist. Mal vergleicht er wider die „politische Korrektheit“ brennende Autos in Berlin mit den rassistischen Pogromen Anfang der 1990-er Jahre. Ansonsten widersetzt er sich tapfer dem „Gender-Hokuspokus“. Deshalb kann Martenstein aus dem Stegreif Unterschiede zwischen Mann und Frau benennen, die angeblich „auch nicht wegerzogen werden“ können. Mit solchen Thesen schafft man es in der Republik der Kristina Schröder und der Eva Hermann zwar nicht mehr auf das Titelblatt des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“, trotzdem hält sich Martenstein zu allem Überfluss auch noch für subversiv, er sei „als ZEITmagazin-Kolumnist von Amts wegen zum Nonkonformismus verpflichtet“.

Der omnipräsente Martenstein schreibt als „Tagesspiegel“-Redakteur und Kolumnist des „ZEITmagazins“ für ein Milieu, das sich aus Deutschlehrern, Geisteswissenschaftlern, Verehrern des Raucher-Gestammels von Helmut Schmidt und deren akademischem Nachwuchs zusammensetzt. Also Leuten, die eine „original ZEIT-Uhr“ tragen und gerne als intellektuelle Avantgarde des Landes gehandelt werden. Sie lesen eine Zeitung wie die „Zeit“ aufgrund der Aura des Intellektuellen, fest daran glaubend, je größer die Zeitung, je länger ein Artikel, desto komplexer und geistreicher sein Inhalt.

„Genug gebullshitted, Bärchen, schlaf gut“, sagt N. im Roman einmal zu einem ihrer Liebhaber. Vor allem aber ist Martensteins Roman „Gefühlte Nähe“ sprachlich, um es mit diesen Worten seiner Figur N. zu sagen, Bullshit. Am liebsten steigert sich der Autor in „kreative“ Wortspiele hinein: „[…] es zog sich etwas in ihm zusammen, eine Kontraktion, als ob sein Seelenmuskel sich aktiv verkürzte“. Als ob „verkürzen“, „zusammenziehen“ und „Kontraktion“ nicht das Gleiche bedeuten würden. Mag sein, dass das ein Zugeständnis an den Jargon seines Publikums ist, bei dem so etwas wohl als kreativer Umgang mit der Sprache gilt. Auf jeden Fall nervt dieser Martenstein’sche „Stil“ schon nach wenigen Seiten.

Hat man sich dann endlich durch die 222 Seiten sprachlichen Geschwurbels gekämpft, stellt sich die Frage: Wozu dieser Aufwand? Hätte Martenstein aus seinen „Erkenntnissen“ nicht besser eine Kolumne für das „ZEITmagazin“ machen sollen? Man wird den Eindruck nicht los, dass es sich hier um eine Art Erlebnisbericht handelt, in dem der „Kult-Kolumnist“ (NDR), immerhin auch schon auf die 60 zugehend, nochmal so richtig die Sau rauslassen wollte. „Zeit“-Lesern sei der Roman also dringend ans Herz gelegt. Kristina Schröder wird ihn sowieso schon gelesen haben.

Titelbild

Harald Martenstein: Gefühlte Nähe. Roman in 23 Paarungen.
C. Bertelsmann Verlag, München 2010.
224 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783570100066

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