Das moralische Gesetz in uns

Zum Buch „Das Prinzip Empathie“ von Frans de Waal

Von Eckart LöhrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Eckart Löhr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit dem Erscheinen von Charles Darwins „On the Origin of Species by means of Natural Selection“ („Die Entstehung der Arten“) vor gut 150 Jahren beherrschen vor allem zwei Schlagworte die Diskussion: „Der Kampf ums Überleben“ („the struggle for life“) und „Das Überleben des Tüchtigsten“ („survival of  the fittest“) – eine Formulierung, die im übrigen nicht auf Darwin sondern auf Herbert Spencer zurückgeht, aber später von Darwin übernommen wurde.

Bis heute wird in Politik und Wirtschaft gerne auf diese Begriffe rekurriert, wenn es darum geht, die Ausbeutung der Natur und des Menschen oder schlicht die Maximierung des Profits zu rechtfertigen. Man bezeichnet das gemeinhin als Sozialdarwinismus, der in Gestalt der neoliberalen Bewegung wieder verstärkt an Bedeutung gewonnen hat. An dieser Stelle muss allerdings gesagt werden, dass man Darwin mit dieser Bezeichnung unrecht tut, da er vehement für die Kultivierung des moralischen Sinns geworben hat und der Meinung war, dass die Vernachlässigung der Kranken und Schwachen die Zersetzung „des edelsten Teils unserer Natur“ zur Folge hätte.

Dass in letzter Zeit Bücher wie die von de Waal erscheinen – neben anderen wie, um nur ein Beispiel zu nennen, „Alles fühlt“ von Andreas Weber  – die eine andere Perspektive einnehmen, um die Natur und die in ihr ablaufenden Vorgänge zu beschreiben, ist ermutigend und scheint auf einen grundsätzlichen Bewusstseinswandeln hinsichtlich dieses Themenkomplexes hinzudeuten, der hoffentlich auch Auswirkungen auf unseren Umgang mit der Natur haben wird.

Schon in seinem letzten 2008 erschienenen Buch „Von Primaten und Philosophen“ versuchte de Waal zu zeigen, dass der Moral kein metaphysisches sondern ein evolutionäres Konzept zugrunde liegt und somit auch schon bei Tieren anzutreffen ist.  De Waal entzieht damit der gängigen Auffassung von der Natur des Lebendigen als eines Daseins in fortwährendem Kriegszustand die Grundlage, indem er zeigt, dass wir „keine Robinson Crusoes sind, die einsam auf ihren Inseln sitzen, sondern alle körperlich und emotional miteinander verbunden.“ Diese These von der Fähigkeit zum Einfühlungsvermögen bereits auf der Ebene der Tiere untermauert der Zoologe und Primatenforscher anhand unzähliger Beispiele und kommt dabei zu dem Schluss, dass es so ist, „als hätte die Natur dem Organismus eine simple Verhaltensregel mit auf den Weg gegeben: ,Spürst du, dass ein anderer leidet, geh hin und stelle Kontakt her.‘“

Die verschiedenen Beispiele, vorwiegend aus dem Bereich der Primaten, kommen gelegentlich zwar etwas arg anekdotisch daher und für ein populärwissenschaftliches Buch liegt die Betonung eindeutig auf populär, aber dennoch bekommt man als LeserIn einen guten Einblick in empathisches Verhalten unter Tieren, das einen zuweilen sprachlos macht, verwundert,  gelegentlich amüsiert und auch rührt. Wie die Geschichte eines in einem Fischernetz verfangenen Wales, der sich bei seinen Rettern die ihn mühsam befreien bedankt, indem er jeden einzelnen zärtlich stupst, bevor er verschwindet. Von seinen langjährigen Beobachtungen ausgehend stellt de Waal nüchtern fest, dass „eine Gesellschaft, die sich ausschließlich an egoistischen Motiven und Marktkräften orientiert, vielleicht Wohlstand schaffen kann, aber nicht die Einigkeit und das gegenseitige Vertrauen, die die Basis für lebenswerte Verhältnisse sind.“

Obwohl de Waal dem „struggle for life“ Darwins erfreulicherweise eine andere Sicht der Dinge gegenüberstellt, steht er doch fest auf darwinistischem Boden, da er die Genese von Empathie und Moral naturalistisch zu erklären versucht und schreibt: „Es begann vermutlich mit der Brutpflege. In 200 Millionen Jahren Säugetierevolution hatten Weibchen, die sensibel auf ihre Nachkommen eingingen, größeren Reproduktionserfolg als Weibchen, die kalt und distanziert waren.“

Diese  These, in Brutpflege und Reproduktionserfolg die Ursachen für die Entstehung von Empathie und letztlich Liebe zu sehen, ist mehr als fragwürdig und es kommen dem Rezensenten an dieser Stelle unwillkürlich die wunderbaren Sätze George Steiners in den Sinn: „Der Wunsch, für die Geliebte oder die Freundin zu sterben, und die klarblickenden Verrücktheiten der Eifersucht sind aus jeder denkbaren biologischen (Darwinschen) oder sozialen Sicht kontraproduktiv. Ich habe eine ganze regendurchweichte Nacht hindurch dagestanden, um einen Blick von der Geliebten, wie sie um die Ecke kam, zu erhaschen. Vielleicht war sie es noch nicht einmal. Gott erbarme sich derer, die nie die Halluzination eines Lichts gekannt haben, das während solchen Wachens die Dunkelheit erfüllt.“

Trotz dieser naturalistischen Basis ist „Das Prinzip Empathie“ nicht zuletzt aufgrund seiner weltanschaulichen Komponente, ein wichtiges Buch, da es einmal mehr zeigt, dass der Mensch nicht des Menschen Wolf sein muss, sondern von Natur aus bereits über Eigenschaften wie Rücksichtnahme, Anteilnahme und Kooperation verfügt. So gilt, gerade auch im Guten, der Satz Schopenhauers, der einmal schrieb, uns würde der Anblick der Tiere deshalb so ergötzen, da wir uns freuen, unser eigenes Wesen so vereinfacht vor uns zu sehen.

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Frans de Waal: Das Prinzip Empathie. Was wir von der Natur für eine bessere Gesellschaft lernen können.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Hainer Kober.
Carl Hanser Verlag, München 2011.
368 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783446236578

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