Warum nicht Nichts tun?

Über Emil Ciorans düstere „Lehre vom Zerfall“

Von Andreas HudelistRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andreas Hudelist

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ideen als solche sind neutral – oder sollten es zumindest sein. Aber der Mensch haucht ihnen seinen Atem ein, entfacht sie mit seiner Glut und seinem Wahn; unrein, in Glaubenssätze verwandelt, schalten sie sich nun in die Zeit ein, werden Ereignis: der Schritt von der Logik zur Epilepsie ist getan […] Es entstehen Ideologien, Doktrinen, blutiges Possenspiel.“

Diese ersten Zeilen der „Lehre vom Zerfall“ lassen die Stimmung des Buches erahnen, das bereits in seiner siebten Auflage erschienen ist. Im Jahr 1978 erschien die Erstausgabe und bis zum heutigen Tag ist das Interesse daran nicht gesunken. Schriftsteller wie Paul Celan – er hat den Text auch ins Deutsche übertragen – und Samuel Beckett haben sich mit Emil Cioran ausgiebig auseinandergesetzt. Vielleicht ist es auch Ciorans Denken, welches hin und wieder in Becketts Schriften durchscheint.

Das Buch „Lehre vom Zerfall“ ist nicht leicht bekömmlich. Schließlich zwingt es uns nicht nur alles, was wir tun, in Frage zu stellen, sondern generell an jeglichem Tun zu zweifeln. „In jedem Mensch schlummert ein Prophet: erwacht er, so gibt es ein klein wenig mehr des Übels in der Welt“. Das Übel entsteht aus dem Handeln. Und in der Welt zu agieren, bedeutet sie zu dekonstruieren.

Cioran zerstört alles auf seiner Suche nach einer Welt ohne Ideale, da jegliche Handlung zum Zerfall der Welt beiträgt, jegliches Tun ist destruktiv. Ideale bestärken nur die Illusionen, welche Bedeutungen herstellen. Und es ist schlussendlich diese Bedeutung, welche uns glauben lässt, Lösungen herzustellen. „Im Grunde sind alle Ideen falsch und absurd. Es bleiben nur die Menschen, so wie sie sind.“

Aus Bedeutungen entstehen also Illusionen, aus Illusionen entstehen Handlungen. Wenn die Bedeutungen von uns selbst konstruiert werden, sind unsere Handlungen ebenso Konstruktion. Nichts ist mehr echt, nichts bleibt real, sodass unser Halt in der Welt nichts mehr wert ist. Nach Cioran ist dieses Handeln nicht mehr als eine Flucht des Menschen: „Der vollkommene klarsichtige Mensch, der in idealer Weise normale Mensch also, dürfte außerhalb des Nichts in seinem Innern nirgends eine Zuflucht suchen.“

Mit seinen Aphorismen schreibt Cioran eine düstere Welt, in der der Sinn entschwindet. Wir geben uns ein Leben lang Illusionen hin und zerfallen dabei Stück für Stück. Dabei scheint jegliches Tun den Zerfall zu beschleunigen. Denn das Tun vom Menschen ist vom Wahnsinn geprägt und führt ins Verderben. Dies ist bei Cioran der Tod oder besser die Auflösung des Seins. Desto stärker und intensiver wir uns mit einer Idee auseinandersetzen, desto schneller rasen wir auf den Zerfall zu. „Unser Schicksal will, daß wir gemeinsam mit den Kontinenten und Sternen vermodern, und so werden wir bis ans Ende aller Zeiten wie resignierte Kranke neugierig sein auf die erwartete, schreckliche und nutzlose Lösung des Knotens.“

Die Lösung tritt jedoch nicht ein. Unser wahrscheinlich größtes Glück sind heilsame Finsternisse. Dem Wahnsinn zu Ehren leben wir immer als Fremde. So sterben wir als Dritte, verbannt vom eigenen Ich und getrennt vom eigenen Namen. „Im Gegensatz zum Mystiker oder zum Weisen kann er sich selber nicht entgehen, bleibt er ein Gefangener seines Wahns: selbst seine Ekstasen sind unheilbar und Künder kommenden Unheils. Unfähig, sich selbst zu erretten, ist alles ihm möglich, nur nicht sein Leben“. Während also alles möglich zu sein scheint, nur nicht das Leben, stellt sich unweigerlich die Frage: Warum nicht nichts tun? Wir sind ohnmächtig und können zu einer besseren Welt nicht beitragen. Alles, was wir nach Cioran leisten können, ist, den Zerfall zu beschleunigen.

Titelbild

Emile M. Cioran: Lehre vom Zerfall.
Übertragen von Paul Celan.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2009.
222 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783608938890

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