Partituren eines Lebens

Arnold Stadler kongenialer Ausflug in die Welt des oberschwäbischen Malers Jakob Bräckle

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

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„Bis zuletzt malte er, was er sah. Und am Ende war eben dies zu sehen. War zu sehen, dass fast nichts mehr zu sehen war. Vor allem fehlten die Menschen auf den Feldern“, schreibt Arnold Stadler in „Auf dem Weg nach Winterreute. Ein Ausflug in die Welt des Malers Jakob Bräckle“. Der Großessay des Georg-Büchner-Preisträgers von 1999 über diesen „Julius Bissier am Bodensee“ begleitet eine von Stadler selbst kuratierte Ausstellung mit gut 100 Ölbildern aus dem über 4.000 Arbeiten umfassenden Werk Bräckles.

Bis auf die Akademie-Jahre in Stuttgart hat Bräckle (1897-1987) sein ganzes Leben in seiner oberschwäbischen Heimat verbracht. Der „Morandi der Landschaft“ hat 70 Jahre lang überwiegend die Äcker, Wiesen, Wälder und Felder, die Häuser und Dörfer seiner Umgebung gemalt, sich dabei im Wesentlichen „auf eine Technik, auf ein Format und auf ein Material“ beschränkt: „Öl auf Hartfaser, Sperrholz, Karton und – seltener – Leinwand, ein Leben lang.“

Stadlers Text über den „Weltmaler“ aus dem 115-Seelen-Dorf Winterreute bei Biberach ist, wie könnte es auch anders sein, ebenso wie Stadlers frühere Essays über Johann Peter Hebel und Adalbert Stifter angelegt als große Vergegenwärtigung. „Er malte, was ich schreiben wollte. Er sah, was ich nicht mehr schreiben kann. Da ist es nun aufgehoben.“

Stadler liest in Bräckles „Seelenlandschaften im Postkartenformat“ letztlich die „Partitur seines Lebens“, die dem Dichter selbst zum Ausgangspunkt einer großen Selbstverständigung wird: „Bräckles Unvergesslichkeit eröffnete mir zugleich ein anderes Feld, auf dem ich nun ein wenig unterwegs sein werde: jenes der Erinnerung an eine Welt, die ich kannte, die mir Bräckle mit seinen Bildern zu einer zweiten Gegenwart macht. Und so, als hätte er festgehalten, wie es war, so sind seine Bilder. Ganz da. Und einfach und still, und tief und einsam.“ Bräckle, für Stadler „in fast allem ein Gegenstück zu Jünger, vor allem in seinem ganz unlaotseartigen Kommen und Gehen“, ist „noch viel mehr und anderes als ein Chronist und Bewahrer einer Welt, die sonst verloren wäre: Er ist der Vergegenwärtiger und Retter der Welt überhaupt, denn diese Welt, die er gemalt hat, ist mehr als Oberschwaben, es ist das Ganze im Fragment. Es ist mitten in den Feldern meiner Erinnerung“.

Ähnlich wie etwa Martin Walser zuletzt an Bruno Epples Werk eine Dank-Andacht ans Dasein rühmte, begreift Stadler bei Bräckle: „Malen, wie es Bräckle verstand, ist auch Beten“. Denn in „Bräckles Bildern wird das Einfache als das Schöne gezeigt. Er sieht das Einfache in Verbindung mit dem Schönen, und dieses mit dem Göttlichen.“ Und so lassen sich Bräckles Bilder als eine andächtige „Zuwendung“, als „lebenslängliche Danksagung“ lesen. Ebenso ist Stadlers Essay eine großartige Danksagung an einen wunderbaren Maler, der für das breite Publikum noch zu entdecken ist.

Noch bis 15. Juli ist die Ausstellung „Ein Ausflug in die Welt des Malers Jakob Bräckle“ auf dem Hofgut Hohenkarpfen bei Hausen ob Verena auf der Baar, mittwochs bis sonntags von 13.30 bis 18.30 Uhr, zu sehen.

Titelbild

Arnold Stadler: Auf dem Weg nach Winterreute. Ein Ausflug in die Welt des Malers Jakob Bräckle.
Jung und Jung Verlag, Salzburg 2012.
205 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783990270233

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