Hochzeitsfeier mit Arno Schmidt

Michael Perkampus’ Erzählung „Entropia, oder die Hochzeit auf dem Lande“ versucht, den Surrealismus in die Gegenwart zu übertragen

Von Matthias FriedrichRSS-Newsfeed neuer Artikel von Matthias Friedrich

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die königliche Hochzeit von Rex und Regina in Michael Perkampus’ Erzählung „Entropia, oder die Hochzeit auf dem Lande“ ist ein „Versuch“, der scheitern muss, weil er nicht erzählt werden kann. Verschiedene Instanzen probieren sich daran, ihnen kommt jedoch immer wieder etwas dazwischen, egal, ob es sich um ein Gewitter handelt oder Streifzüge durch das Dorf, in dem die Ehe geschlossen werden soll. Die Hochzeit zeichnet sich vor allem durch ihren Eventcharakter aus – genau darin liegt ihr Problem. Denn jeder Versuch, sie adäquat in Worte zu fassen, versumpft im Surrealismus. Sprachliche Bilder lösen sich auf in orgiastischen Krämpfen – beispielsweise, wenn ihr Autor Michael Perkampus eine weibliche Figur nach einer erotischen Szene so beschreibt: „Aufgepumpt: ein menschlicher Autoreifen; sagen wir: von einem Audi 80, sagen wir: von einem roten Audi 80“.

Die im Titel genannte Entropie ist ein Austausch poetischer Energie: ein Feuerwerk aus Kalauern (meistens derber Natur), sprachlichen Manierismen (zum Beispiel Gleichheitszeichen anstatt Bindestrichen) oder dialektalen Bruchstücken, wie man sie in der deutschen Gegenwartsliteratur selten findet. Diese „rasende Lust“ wählt demzufolge ein etwas anderes Ordnungsprinzip, denn ihr schöpferisches Potenzial besteht in der Zerstörung narrativer Strukturen. Dem liegt der romantische Gedanke zugrunde, dass die Welt unerklärlich ist; genau diese Haltung soll die literarische Darstellung bewahren: „Die Würze ist das Rätsel, geheimnisvoll wie Safran & Curcuma.“ Perkampus müht sich nach Kräften um eine Mystifizierung der Ereignisse. Oftmals liest sich das angestrengt, in etwa so, als würde der Surrealismus ein wiederholtes Mal aufröcheln, bevor er wieder in sein literaturhistorisches Grab zurücksackt.

Viele sprachliche Eigenheiten erinnern frappierend an Arno Schmidt: „Sprotten=nah kriept der feuchte Dunst, der von den Zungen platscht, über die Felder.“ In surrealistischer Tradition ist es das Unbewusste, das die Wirklichkeit durch Traumzustände sabotiert; dieser „Vulkan verdrängter Begierden“ schafft Nebenbedeutungen, meistens sexuelle Anspielungen, die Platons Höhlengleichnis mit frivolen „Grotten“ gleichschaltet. Mit Vorliebe zitiert Perkampus aus der griechischen Mythologie; das Ideal aller Erzählinstanzen ist ein bukolisches Idyll. Die Tiefenschichten der Zeit liefern ihm das Material für sein beinahe manisches Schreiben über die Vermischung von Traum und Realität.

Auf den ersten Blick mögen diese erzählerischen Kniffe gewagt sein. Sie sind es aber nicht. Vielmehr gründen sie – wie auch das Unbewusste, das ihnen als Grundlage dient – in der literarischen Tradition des Surrealismus. Beinahe schon neurotisch einzuschätzen ist die Rolle, die Arno Schmidts Etym-Theorie einnimmt: Neben dem bloßen Inhalt eines literarischen Traums sind es vor allem Gleichklänge, Verfremdungen, die es ermöglichen, einzelnen Wörtern eine stark sexuelle Konnotation anzudichten. Das daraus resultierende Chaos erschafft die Welt, durch die sich die Figuren bewegen – und aus der sie wieder herausfallen, ohne dass der Leser die Gründe dafür kennen muss.

Eine derart raffinierte Assimilation einer literarischen Strömung kann jedoch nicht als Vorwand dazu dienen, unfreiwillige Komik mit der Freiheit des Unbewussten zu entschuldigen. Die Hochzeit vermag es, ein Tableau für neue Geschichten zu zeichnen; sie stellt gleichzeitig Ende und Neuanfang, Scharnier zwischen Vergangenheit und Zukunft, ein traumhaftes Innehalten dar. Doch gerade in den Details verdeutlicht sich, dass Perkampus’ Fabulierlust mitunter überhand nimmt: „Die Schafe blöken zum Fließen der Eger, dicke Teppiche schlucken jeglichen Lärm & auch das Lustgeschrei der Mädchen.“ Stellenweise brennt der Bukolik damit die Sicherung durch.

Oft behindert der Nonsens-Gehalt den Leser bei seiner Rezeption mehr, als dass er ihm Dinge offenbart. Zu häufig bricht der „Vulkan verdrängter Begierden“ aus und verstopft mit Schlamm und Asche das Tor, durch das der Leser in dieses Buch eintreten möchte. Die poetischen Energien fressen sich gegenseitig in ihrer Zügellosigkeit auf, weil sie zu stark sind; damit bleibt eine Ratlosigkeit zurück, an der die Anbindung an Traditionen und das Wissen des Autors nicht viel ändern können.

Titelbild

Michael Perkampus: Entropia, oder Hochzeit auf dem Lande. Erzählung.
edition taberna kritika, Bern 2014.
67 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783905846300

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