Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch

Erhard Eppler und Michael Zürn bekräftigen das Primat der Politik

Von Eva LeipprandRSS-Newsfeed neuer Artikel von Eva Leipprand

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Will man die Haltung der Politik zur sogenannten Globalisierung in den letzten Jahren beschreiben, so bieten sich zwei Bilder an: der Frosch vor der Schlange, erstarrt in Angst und Ohnmacht; aber auch der Hase, der sich im aussichtslosen Wettlauf mit dem Igel aufreibt und am Ende auf der Strecke bleibt. Standortkonkurrenz und der neoliberale Ruf nach Deregulierung scheinen die Politik gleichzeitig zu hetzen und zu lähmen und ihr jeden produktiven Umgang mit dem Phänomen der Globalisierung zu verwehren. Inzwischen mehren sich die Anzeichen, daß der Höhepunkt dieser Entwicklung überschritten ist. Rufe nach Regelungen z.B. der internationalen Finanzmärkte werden laut, die Politik erhält neue Spielräume, wird offenbar wieder gebraucht. Das erstaunliche Ergebnis der letzten deutschen Bundestagswahl läßt sich auch als Auftrag an die Politik verstehen, endlich wieder zu gestalten. Erhard Eppler, der SPD-Politiker, ruft nach der Wiederkehr der Politik aus reicher praktischer Erfahrung. Michael Zürn, der Wissenschaftler (Professor an der Universität Bremen), analysiert die weltweiten Entwicklungen aus der Distanz der Forschung, hat aber auch den Praktikern etwas zu bieten: sein "Zukunftsprojekt komplexes Weltregieren".

Was ist überhaupt Politik und wozu brauchen wir sie? fragt Erhard Eppler ganz grundsätzlich-humanistisch. In Auseinandersetzung mit Theoretikern wie Carl Schmitt, Karl Popper, Hannah Arendt und Max Weber formuliert er seine Thesen, die nur deshalb ein bißchen altmodisch wirken, weil wir das Selbstverständliche vergessen haben. Politik, so Eppler, kommt aus der Frage, wie Menschen leben wollen und wie nicht. Sie formuliert das Gemeinwohl gegenüber dem Einzelinteresse. Politik ist wertendes Streiten vor verbindlichem Entscheiden.Sie ist etwas anderes als der Vollzug von Sachzwängen. Politik braucht Ziele, Entwürfe, Utopien, und muß dabei auch die Spannung zwischen Entwurf und Wirklichkeit aushalten.

Wenn Eppler sein Buch "Wiederkehr der Politik" nennt, dann meint er damit, daß Politik, wie er sie versteht, für eine Weile von der Bühne abgetreten war. Vornehm enthält er sich jeder Polemik. Trotzdem ist klar zu erkennen, daß für ihn die Zeit der späten sechziger und die siebziger Jahre die "politischste Epoche" der Bundesrepublik gewesen ist - die Zeit Willi Brandts, Jahre, in denen Eppler selbst zahlreiche hohe politische Ämter und Funktionen in der SPD innehatte. Die Ära Kohl zeichnet Eppler als eine Zeit ohne politische Entwürfe (ein fataler Mangel bei der Wiedervereinigung), versumpft in Einzelinteressen, eine Politik des muddle through. Eppler hat sein Leben mit Leidenschaft der Politik gewidmet, Politikverdrossenheit akzeptiert er nicht. Er ist skeptisch gegenüber Jungpolitikern, denen die Karriere wichtiger ist als das politische Ziel. Das Buch ist also nicht zuletzt ein Plädoyer zur Ehrenrettung seiner Zunft.

Aber nicht nur das. Die Suche nach den Gründen für die derzeitige "Misere der Politik" ergibt unter anderem eine fundierte und sehr klar formulierte Analyse des Neoliberalismus, den er als Ideologie, ähnlich dem Marxismus, einordnet. Der Neoliberalismus hämmert der Welt seine Dogmen (Deregulierung, Privatisierung, Entsolidarisierung) wie Glaubensfragen ein und läßt keine Alternativen zu. Politik sei aber, das wird Eppler nicht müde zu betonen, wertendes Streiten über Alternativen.

Ähnlich klar lehnt Eppler systemtheoretische Positionen wie die des soeben verstorbenen Niklas Luhmann ab. Dessen Theorie der autonomen Funktionssysteme sei ein Versuch, "die Politik gleichzeitig freizusprechen und wegzudefinieren". Gegen die sterile Schulweisheit des Soziologen setzt Eppler seine praktische Erfahrung. Politik kann steuern und muß dies sogar, will sie nicht in einem Zustand postmoderner Beliebigkeit enden.

Angesichts der globalen Umweltprobleme wird Politik notwendiger denn je, sie wird "zuständig für menschliches Überleben." Eppler hat schon sehr früh den Umweltgedanken aufgegriffen (Wege aus der Gefahr, 1981) und folgt nun ganz selbstverständlich dem Leitbild sustainable development. Damit dieses Leitbild umgesetzt werden kann, plädiert er für die Ausweitung internationaler Regelungen und Institutionen. Die werden dem Nationalstaat auf lange Sicht Kompetenzen und Bedeutung nehmen, wenn auch die Politik zunächst im Nationalstaat wiederaufleben muß, weil nur dort der Regierte durch Wahlen mitbestimmen kann.

Besonders schön sind Epplers Bemerkungen über die entleerte Sprache der Politiker, die "Beziehungslosigkeit zwischen Reden und Tun." Eppler ist dabei selbst sein bestes Gegenbeispiel und führt eine Sprache vor, "die Wirklichkeit erfaßt und zugleich gestaltet."

Michael Zürns Sprache ist von wissenschaftlicher Trockenheit, doch klar und von den Lämpchen einleuchtender Beispiele erhellt. Obwohl Zürn (Jg. 1959) einer anderen Generation als Eppler angehört, geht er von verblüffend ähnlichen Voraussetzungen aus, hat allerdings stärker die Zukunft mit ihren internationalen Verflechtungen im Blick. Auch für Zürn ist die Notwendigkeit regulierenden Regierens selbstverständlich, die Ziele der Politik sind klar: Frieden und Sicherheit, Zusammengehörigkeitsgefühl (Identität), demokratische Legitimation und "eine von allen Seiten akzeptable Balance von wirtschaftlicher Effizienz und Verteilungsgerechtigkeit (soziale Wohlfahrt)". Wie Eppler nimmt er als Maßstab den demokratischen Wohlfahrtsstaat der siebziger Jahre, der die politischen Ziele "problemadäquat" erfüllt habe. Für die derzeitige Krise des Regierens ist nach Zürn wesentlich, wenn auch nicht allein, die Globalisierung verantwortlich, die er allerdings lieber Denationalisierung nennt, da sie eher die OECD-Länder als die ganze Welt und auch nicht alle gesellschaftlichen Bereiche gleichermaßen erfaßt. Angesichts der Gefahr einer Deregulierungsspirale, die zu einer Fragmentierung der Gesellschaft führen könnte, muß die Politik wieder - das ist sein engagiert vorgetragenes Anliegen - die Kontrolle über die Entwicklung erlangen.

Zürns Analyse der Situation ist äußerst differenziert und kenntnisreich und bestens dazu geeignet, die in ideologischen Rechts-Links-Gräben festgefahrene Diskussion wieder flottzumachen, Denkblockaden zu lösen und eine fruchtbringende Debatte über die Chancen der neuen Entwicklungen in Gang zu setzen, damit endlich die politische Gestaltung beginnen kann. "Lagermentalität" macht Zürn kenntlich als "Ausdruck unterkomplexen Denkens". Die Dogmen des Neoliberalismus werden in einem Absatz abgetan, sie interessieren schon nicht mehr. Sein "Zukunftsprojekt komplexes Weltregieren" ist in der Tat eine hochkomplizierte Angelegenheit, wo Schlagwörter wie die "Allzweckwaffe Globalisierung" nichts zu suchen haben.

Wegen der grenzüberschreitenden Denationalisierung der Gesellschaft genügt zum Regieren die Ebene des Nationalstaats nicht mehr, wenn sie auch (wie bei Eppler) immer noch gebraucht wird. Das Rad läßt sich nicht zurückdrehen, Protektionismus ist auch keine Lösung. So entwirft Zürn eine komplexe Mehrebenen-Regierung, von den Vereinten Nationen über Europa und den Nationalstaat bis hin zu lokalen Einheiten. Die Reform des Sozialstaats muß auf allen Ebenen angegangen werden, vom (national)staatlich garantierten Grundeinkommen bis zur international vereinbarten Tobin-Tax, und erfordert neue Formen des Regierens: Koordination statt Hierarchie, wachsende Bedeutung von "gesellschaftlicher Selbststeuerung". "Kontext-beeinflussende Maßnahmen" werden zentrale Instrumente des Regierens. Epplers "wertendes Streiten" wird bei Zürn zum Modell einer "deliberativen Demokratie", wo die auf allen Ebenen verhandelnden Netzwerke so etwas wie eine transnationale Zivilgesellschaft hervorbringen sollen.

Zürn hält sein Zukunftsprojekt für schwierig, aber machbar, auch wenn ihm, wie er bekennt, der "Makel des haltlosen Optimismus" anhaftet. Auf jeden Fall zeigt das Buch denen, die mitten in den unübersichtlichen Prozessen stecken, Horizonte und Spielräume auf. Es löst den Frosch aus dem Schlangenblick und läßt den Hasen verschnaufen, damit er endlich einmal darüber nachdenken kann, warum und wohin er eigentlich rennt.

Titelbild

Erhard Eppler: Die Wiederkehr der Politik.
Insel Verlag, Frankfurt a. M. 1998.
311 Seiten, 10,10 EUR.
ISBN-10: 3458169253

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Michael Zürn: Regieren jenseits des Nationalstaats.
Herausgegeben von Ulrich Beck.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 1998.
395 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3518410180

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