Mischung aus Wagner und Krupp

Thomas Elsaesser über das Medienereignis des Jahres 1927: Fritz Langs Monumentalfilm "Metropolis"

Von Ralf Georg CzaplaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ralf Georg Czapla

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit Fritz Langs "Metropolis" nimmt sich Thomas Elsaesser, Film- und Fernsehwissenschaftler in Amsterdam und ausgewiesener Kenner des Weimarer Kinos, einer der gigantischsten, aber auch umstrittensten Produktionen der Filmgeschichte an. Die Verwirklichung des Films nahm 310 Tage und 60 Nächte (zwischen dem 22. Mai 1925 und dem 30. Oktober 1926) in Anspruch und verschlang immense Summen. Ursprünglich auf eine Million Reichsmark kalkuliert, kostete er schließlich mehr als das Fünffache und brachte die Ufa an den Rand des Ruins. Die Filmreklame warb mit Zahlenkolonnen, die für die Frühzeit des Kinos ohne Vergleich sind: 1.300.000 Meter Film wurden abgedreht, acht Haupt- und 750 kleinere Rollen besetzt, darüber hinaus 36.000 Komparsen und Komparsinnen beschäftigt. 1.600.000 Reichsmark wurden allein für Arbeitslöhne ausgegeben, 200.000 Reichsmark kosteten die Kostüme. Der von Kritikern seinerzeit des Öfteren gezogene Vergleich mit dem biblischen Turmbau zu Babel nahm also nicht nur auf die Architektur der Welten von Arbeit und Kapital Bezug, die in "Metropolis" vorgeführt werden, sondern spiegelte auch die Gigantomanie seines Regisseurs wieder, der sich bei der Gestaltung der Kulisse von seinem New-York-Erlebnis aus dem Jahre 1924 hatte leiten lassen. Umstritten blieb der Film, diese merkwürdige "Mischung aus Wagner und Krupp" (Siegfried Kracauer), jedoch nicht nur wegen des ungeheuren finanziellen Aufwands, der seinetwegen betrieben wurde, sondern auch wegen der ideologisch vieldeutigen Botschaft seines Inhalts, in der sich sowohl die extreme politische Linke als auch die Rechte wiederfinden konnte. "Metropolis" entwirft die Utopie einer autoritär organisierten und vom Primat der Technik bestimmten Zweiklassengesellschaft. Während in unterirdischen Werkstätten die Arbeiter unter Kunstlicht und im ununterbrochenen Rhythmus von zehn Stunden Frondienst leisten, genießen oben in den "Ewigen Gärten" die Reichen und Mächtigen ein Leben des Wohlstands und des Luxus. Herrscher über Metropolis ist der Industrielle Joh Fredersen (Alfred Abel), umschwärmter Held des "Klubs der Söhne" sein Sohn Freder (Gustav Fröhlich). Als Freder eines Tages Maria (Brigitte Helm), einer "Heiligen der Unterdrückten", begegnet und sich in sie verliebt, gerät die vertikale Gesellschaftsstruktur von Metropolis ins Wanken. Das charismatische Mädchen predigt die Überwindung der sozialen Gegensätze durch die Liebe und bestärkt so Freder in seiner inneren Auflehnung gegen die Allmacht des Vaters. Freder folgt Maria in die Unterstadt, und, erschüttert über das ungeahnte Elend, das er dort sieht, sympathisiert er bald mit den Arbeitern. In einer Vision des Turmbaus zu Babel erscheint ihm die energieerzeugende "Herzmaschine" der Unterwelt als ein gefräßiger Moloch, der Menschenopfer verschlingt. Als Fredersen die aus der Unterwelt heraufziehende Gefahr erkennt, beauftragt er den dämonischen Erfinder Rotwang (Rudolf Klein-Rogge) mit der Konstruktion eines Roboters, der die Arbeit in der Tiefe übernehmen soll. Rotwang jedoch will sich an Fredersen rächen, weil dieser ihn einst beim Werben um die geliebte Hel ausgestochen hatte. Er entführt Maria und erschafft einen Roboter mit ihrem Aussehen. Von der falschen Maria durch einen obszönen Tanz betört, zerstören die Arbeiter die verhasste Maschine. Erst die dabei ausgelöste Überschwemmung bringt sie zur Besinnung. Während die Arbeiter Marias Doppelgängerin verbrennen, tötet Freder Rotwang im Kampf und befreit die echte Maria. Vor dem Dom versöhnt er den Anführer der Arbeiter, den Maschinenmeister Groth (Heinrich George), und den alten Fredersen. So wird Metropolis schließlich zu einer Stadt des sozialen Friedens, in der die Klassengegensätze aufgehoben sind und in der Liebe statt Feindseligkeit und Hass regiert.

Der Film, der auf einem Roman von Langs Ehefrau Thea von Harbou basiert und typische Motive des Expressionismus (Vater-Sohn-Konflikt), der Neuen Sachlichkeit (Faszination durch Technik) und der Trivialliteratur zum neuen Filmgenre des Science-Fiction verwebt, wurde im Grunde nur ein einziges Mal, und zwar bei seiner Premiere am 10. Januar 1927 im Ufa-Palast am Berliner Zoo in voller Länge gezeigt. Zensur und Kürzungen führten in der Folgezeit dazu, dass, abhängig davon, ob er für den europäischen oder amerikanischen Markt vorgesehen war, aus dem ursprünglich etwa drei Stunden langen Film verschiedene Fassungen mit unterschiedlicher Spieldauer entstanden. Der größte Teil des Films gilt bis heute als verschollen. Immer wieder wurden Versuche unternommen, den Film zu rekonstruieren, so 1974 im Auftrag der ARD und 1984 durch Enno Patalas vom Münchner Filmmuseum. Ebenfalls 1984 gelangte eine von Georgio Moroder farbig bearbeitete und mit Rockmusik unterlegte Fassung in die Kinos. 1998 wurde Martin Koerber von der Murnau-Stiftung und dem Bundesarchiv mit der Rekonstruktion des Filmes betraut. Seine Fassung, zu der Bernd Schultheiss eine neue Musik komponierte, soll im Rahmen der Internationalen Filmfestspiele Berlin 2001 ihre Uraufführung erleben.

Elsaesser erweitert die Reihe der BFI-Filmmonografien um einen informativen und qualitativ hochwertigen Band. Das Buch führt in faszinierender Weise nicht nur in den Film "Metropolis" und seine Geschichte ein, sondern betrachtet auch das Umfeld, in dem er entstand, und die Wege seiner Rezeption. Es geht den Gründen nach, wie "Metropolis" zu einem filmischen Mythos werden konnte, beleuchtet das Verhältnis von Lang und Harbou, behandelt die politische Instrumentalisierung des Films, gibt einen Überblick über die verschiedenen Restaurierungen des Films, und zeigt, woher er seine Anregungen bezogen und wie er in Film ("Star Wars", 1977; "Brazil", 1984; "Terminator II", 1990, "Batman Returns", 1991; "The Fifth Element", 1997; "Dark City", 1998 u. a.) und Video (Queen, Madonna) fortgewirkt hat. Ausführlicher freilich hätte das Literaturverzeichnis gestaltet werden können, das zwar alle einschlägigen internationalen Forschungsarbeiten zu Fritz Lang und "Metropolis" aufführt, gleichwohl aber um ein detailliertes Verzeichnis zeitgenössischer Kritiken des Films hätte ergänzt werden können. Der positive Gesamteindruck, den das Buch hinterlässt, wird dadurch jedoch nicht beeinträchtigt.

Titelbild

Thomas Elsaesser: Metropolis. Der Filmklassiker von Fritz Lang.
Europa Verlag, Hamburg 2001.
136 Seiten, 12,50 EUR.
ISBN-10: 3203841185

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