Die tiefe Sehnsucht nach Erfolg

Hans-Ulrich Treichels Hommage an die Würde des Menschen

Von Katharina IskandarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katharina Iskandar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist ein Blick in die menschliche Psyche: Eine Geschichte, die geprägt ist von Unsicherheit und seelischer Pein, die sich rankt um Enttäuschungen und der Suche nach verborgenen Talenten. Es ist die Geschichte von Georg Zimmer, dem Erfolglosen. Der sich erst in die Dienste des weltberühmten Komponisten Bergmann begeben muss, um zu sich selbst zu finden. Hans-Ulrich Treichels "Tristanakkord" ist eine Hommage an die Würde des Menschen. Nach "Der Verlorene" hat Treichel einen Roman geschrieben, der tief in die Abgründe einer gescheiterten Existenz blickt. Eine Geschichte, die dem Leser in direktester Form vor Augen hält, wie armselig das Leben werden kann, wenn man zwanghaft versucht, sich der Gesellschaft anzupassen.

Dabei wirkt der Roman fast schon wie eine Satire. In grotesken Bildern werden Formen des menschlichen Versagens dargestellt: Misserfolg im Beruf, im Umgang mit anderen, in der Liebe. All dies durchlebt der Protagonist Georg Zimmer, der nach seinem Germanistikstudium erst einmal von der Sozialhilfe lebt und sich verzweifelt an seine Doktorarbeit über das "Vergessen in der Literatur" heranwagt. Er hat es in seiner Kindheit erlebt, als er elendig mit ansehen musste, wie seine Fähigkeiten als Musiker an immer engere Grenzen stießen. Und er erlebt es jetzt, als Erwachsener, als er sich in die Dienste des Komponisten Bergmann begibt. Der Wunsch nach Anerkennung lastet auf ihm wie eine Bürde, unter der er fast zu zerbrechen droht.

Treichel spielt gekonnt mit dem Blick in die Psyche. Geschickt wie ein Chirurg legt er Georgs komplexbeladenes Wesen frei, seziert es in allen Einzelheiten. Wie ein roter Faden schleicht sich die Erfolglosigkeit durch den Roman, der geprägt ist von einer nüchternen Sprache. Nichts bleibt im Verborgenen, nichts wird übersehen in der Darstellung von Georgs Gefühlen, und so wird der Leser Zeuge eines Lebens, das sich rankt um die Suche nach der eigenen Identität.

"Und während Georg an Mary dachte, durchzuckte ihn wieder dieser Schmerz, den er schon einmal gefühlt hatte und der seine Lungen und Atemwege für einen Moment zu lähmen schien. Dieser Schmerz war stärker als der über die mißlungene Hymne. Der Hymnenschmerz war ein Kunstschmerz. Der Maryschmerz war ein Lebensschmerz", schreibt Treichel. Und so leidet Georg Zimmer, der sich selbst reinigen will von seiner Kindheit im öden Emsfelde, von seinem Umfeld und schließlich von seinen Träumen, die für ihn nie in Erfüllung gehen sollten. Er leidet selbst dann noch, als er durch seine Arbeit bei Bergmann Einblick in die High Society bekommt. Er leidet, in tiefer Sehnsucht nach Erfolg, Anerkennung und Liebe. So ist Treichels Roman vor allem eine Gesellschaftskritik. Es ist eine Berg- und Talfahrt zwischen Oberflächlichkeit und Tiefe, zwischen Faszination und Ekel. Auf fast schon voyeuristische Weise bekommt der Leser Einblick in die Welt der Künstler, die so schillernd und fantastisch gar nicht ist. Längst hat der Leser den mahnenden Finger erhoben, während Treichel seine Hauptfigur noch immer durch Augen blicken lässt, die geprägt sind von verschwommener Naivität.

Titelbild

Hans-Ulrich Treichel: Tristanakkord.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2000.
240 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3518411276

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