Wenn Felix Krull Gantenbein trifft

Daniel Kehlmanns Roman "Ich und Kaminski"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Wir haben ein völlig falsches Bild von uns", sagt der Maler Manuel Kaminski. Einer der wenigen Sätze in Daniel Kehlmanns neuem Roman, der nicht hinterfragt werden muss, in dem sich nicht Ironie oder Satire verbergen. Kaminski muss es wissen, denn der Künstler, der einmal lose Kontakte zu Matisse und Picasso unterhielt, lebt seit vielen Jahren mit einem (möglicherweise selbst inszenierten) Mythos. "Painted by a blind man" stand unter seinen "Reflexionen" betitelten Bildern auf einer großen New Yorker Ausstellung.

Mit ausgeklügelten Spiegeleffekten hat Kaminski an diesen Werken gearbeitet, und um Spiegelungen und Reflexionen geht es auch in der fünften literarischen Arbeit des gerade einmal 28-jährigen Autors Daniel Kehlmann. Er stellt zwei Lebensläufe gegeneinander, lässt zwei völlig unterschiedliche Menschen miteinander konkurrieren, und doch existieren im Verborgenen diverse Schnittstellen.

So wie sich Kaminski einst penetrant an die Fersen seines Lehrmeisters Matisse heftete, wird nun der gealterte Künstler selbst von einem Schatten verfolgt. Es ist der junge Kunstkritiker Sebastian Zöllner, der sich in den Kopf gesetzt hat, eine Kaminski-Biografie zu verfassen. Nicht etwa aus besonderem Interesse oder herausragender Kenntnis, sondern aus finanziellen Aspekten und um seinen Platz in der Kunstwelt zu festigen. Dieser Zöllner taugt als Paradigma für den Anti-Helden - eine Figur, die beim Leser sofort eine Abwehrhaltung erzeugt, ein Opportunist reinster Güte, ein Dummschwätzer mit schlechten Manieren, einer, der verbal auf die Pauke haut, obwohl er nicht einmal die leisen Töne der Blockflöte beherrscht, ein Felix Krull der zeitgenössischen Kunstszene.

Wie Kehlmann sich über den Kunstbetrieb hermacht, liest sich erfrischend komisch, aber gleichzeitig auch ziemlich authentisch. Das eitle Gebaren auf Vernissagen und den pseudo-intelektuellen Ausstellungs-Small-Talk führt er so pointiert vor, dass man als Leser meint, selbst von Canapés und Champagner, von schrillen Figuren und dem intensiven Geruch frisch getrockneter Ölfarbe umgeben zu sein.

Hier dreht sich alles um die Inszenierung, das Schicki-Micki-Event verdrängt die Inhalte. Auf dem Buchumschlag sehen wir ein mit dicken roten Pinselstrichen angedeutetes rotes Kreuz. Ist dies nun avantgardistische Kunst oder einfach nur banal? Was ist Mythos, was ist Realität? Zumindest latent kreist Kehlmanns Roman auch um diese Fragen. Primär geht es ihm aber um die Spiegelungen in den Lebensläufen seiner beiden Protagonisten. Beide sind Selbstinszenierer, beide haben im gleichen Alter Trennungen von ihren Frauen durchgemacht, beide haben nichts anderes als den eigenen Erfolg im Sinn.

Kunstkritiker Zöllner gelingt es, den betagten Maler aus den heimischen Alpen zu locken und ihn zu einer Reise an die Nordsee zu überreden. Dort wohnt die inzwischen über 70-jährige Therese, Kaminskis einstige Jugendliebe. Im kühlen Norden lässt Autor Kehlmann gleich mehrere Knoten platzen. Kaminskis vermeintlicher Weltruhm hat im privaten Bereich keine Spuren hinterlassen. Jene Therese kann sich kaum noch an den Maler erinnern, macht aus dessen Vornamen "Manuel" kurzerhand "Miguel" und bittet ihn in die Stube, um mit ihr eine der unsäglichen Quizshows im TV zu schauen. Für den Künstler ein Absturz in die Untiefen des gewöhnlichen Alltags. Auch der Möchtegern-Biograf Zöllner wird am Ende desillusioniert, als Kaminski eine Reaktion auf ein Ölgemälde in Thereses Wohnung zeigt. Beim Anblick eines gerahmten "altdeutschen Schinkens", der einen Hasen beim Sonnenaufgang zeigt, gibt Kaminski seine gespielte Blindheit auf. Die Inszenierung ist zu Ende - der malende Gantenbein und der Felix Krull der Kunstszene wirken wie Fremdkörper an der norddeutschen Küste. Geeint sind die beiden Protagonisten in der Verliererpose, die Realität hat die Mythen eingeholt.

Daniel Kehlmann hat mit "Ich und Kaminski" seinen bisher eindrucksvollsten Roman vorgelegt. Wie es sich für dieses Thema geziemt, fein inszeniert von der ersten bis zur letzten Zeile.

Titelbild

Daniel Kehlmann: Ich und Kaminski. Roman.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2003.
176 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 3518413953

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