Lob der Flora

Die Feministin Rosa Mayreder erweist sich im philosophischen Spätwerk als originelle Schopenhauerschülerin

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Philosophinnen, die zugleich Feministinnen sind, gibt es so einige. Diejenigen von ihnen, die einer pessimistischen Weltsicht anhängen, die den Vergleich mit den Vorstellungen Arhur Schopenhauers, Philipp Mainländers oder Julius Bahnsens nicht zu scheuen braucht, kann man hingegen an einer Hand abzählen. Es ist nämlich nur eine: Helene von Druskowitz. Das könnte man zumindest meinen, bis man die letzte Schrift der österreichischen Frauenrechtlerin Rosa Mayreder (1858-1938) entdeckt hat.

Seit Tatjana Popovic, die Rechtsnachfolgerin der Autorin, das vergessene Werk mit dem Titel "Der letzte Gott" nun anlässlich von Mayreders 150. Geburtstags neu herausgegeben hat, ist dies wieder leichter möglich. Denn Mayreders nach mehr als über einem halben Jahrhundert endlich wieder aufgelegtes philosophisches Spätwerk war nicht nur lange vergessen, sondern auch vergriffen.

Dabei ist Mayreder alles andere als eine Unbekannte. Vielmehr gelangte sie immer wieder zu Ehren, die Feministinnen im Allgemeinen verwehrt bleiben. So schmückt ihr Konterfei den bis zur Einführung des Euro gültigen österreichischen 500-Schilling-Schein. Doch auch bereits zu Lebzeiten wurden ihr verschiedene Ehrrungen zuteil. Etwa in Form einer Festschrift anlässlich ihres 70. Geburtstages, in der ihr so namhafte Persönlichkeiten wie Helene Stöcker, Selma Lagerlöf, Lou Andreas-Salomé und Stefan Zweig gratulierten. Allerdings verliefen die Feierlichkeiten nicht immer ungetrübt. Als sie im gleichen Jahr das "Silberne Ehrenzeichen der Republik" erhielt, verzichtete sie aus Empörung über die - wie sie im Tagebuch festhielt - "schäbige Aufmachung" auf "jede Danksagung". Und als sie im darauffolgenden Jahr zur "Ehrenbürgerin der Stadt Wien" ernannt wurde, bekam sie vom Unterrichtsministerium nur das "Bürgerdiplom" überreicht. Wie man ihr zutrug, war ihr das Ehrendiplom verweigert worden, weil sie sich öffentlich zu ihrem jüdischen Großvater bekannte. All dies und so einiges mehr ist aus dem informativen Vorwort der Herausgeberin zu erfahren.

Wie Popovic weiter berichtet, verfasste Mayreder nicht nur etliche feministische Schriften wie die auch unter theoretischen Gesichtspunkten noch heute lesenswerten Essay-Bände "Zur Kritik der Weiblchkeit" (1905) und "Geschlecht und Kultur" (1923), sondern war zudem künstlerisch vielseitig begabt. So schrieb sie ein Opernlibretto und verfertigte in jungen Jahren Aquarelle, die 1891 im Wiener Künstlerhaus und zwei Jahre später auf der Weltausstellung in Chicago zu sehen waren. Ebenfalls 1893 gründete sie gemeinsam mit Gleichgesinnten den "Allgemeinen Österreichischen Frauenverein", veröffentlichte unter dem Pseudonym "Eremo" in der "Neuen deutschen Rundschau" ihre erste Publikation mit dem Titel "Lilith und Adam" und sprach sich bei einem Vortrag im Alten Wiener Rathaus gegen die Errichtung von Bordellen aus. Über ihre feministische Tätigkeit vernachlässigte Mayreder ihr künstlerisches Engagement keineswegs, sondern verband beide, indem sie 1897 gemeinsam mit anderen Feministinnen eine "Kunstschule für Frauen und Mädchen" gründete.

Als nicht ganz so kenntnisreich wie Popovics Vorwort erweist sich die Einleitung von Hermann Böhm, der meint, keine der zahlreichen "lexikographischen Erwähnungen" Mayreders weise sie als Philosophin aus. Da hätte ihn ein Blick in das von Ursula I. Meyer und Heidemarie Bennet-Vahle herausgegebene "Philosophinnenlexikon" eines besseren belehren können. Mayreders Eintrag umfasst nicht weniger als acht Seiten. Dass ihm dieser Eintrag entgangen ist, mag verzeihlich sein, zumal es zweifellos zutrifft, dass Mayreder in der Geschichtsschreibung der österreichischen Philosophie "keinen noch so kleinen Platz" einnimmt. Ebenso zutreffend ist, dass Mayreders Buch einen "zumindest interessanten und diskussionswürdigen Beitrag zur österreichischen Philosophiegeschichte" leistet. Böhms Interpretationen der vorliegenden Schrift wird man allerdings nicht immer folgen mögen.

Wie Hedwig Dohm und zahlreiche andere Frauen der Zeit litt auch Mayreder an ihrer im Vorwort sicherlich zurecht als "unzureichend" und "oberflächlich" beschriebenen "Jungmädchenbildung", die sich auch in dem vorliegenden Buch nicht immer verbergen lässt. So unterlaufen ihr auf dem Gebiet der Philosophiegeschichte immer mal wieder kleinere Schnitzer. Selbst dann, wenn sie auf die Philosophie des Meisterpessimisten Schopenhauer zu sprechen kommt, dessen Gedanken die Autodidaktin schon mal verballhornt, wenn sie meint, dass er "das naturhafte Weltwesen in Gestalt des Willens zum Leben als das Böse an sich betrachtet". Dessen ungeachtet glänzt sie öfter mit ebenso originellen wie reflektierten Überlegungen, die sie zwar nicht so eloquent vorzutragen versteht wie etwa Dohm ihre Antifeministen-Polemik, die oft aber gerade durch die schlichte Form bestechen, in die Mayreder sie zu kleiden versteht.

Von all ihren feministischen, theoretischen, literarischen und sonstigen künstlerischen Arbeiten war ihr zuletzt offenbar gerade die vorliegende philosophische Abhandlung am wichtigsten. "Heute habe ich das Buch abgeschlossen", zitiert Böhm aus Mayreders Tagebucheintrag von 7. Februar 1931, "Stimmung: jetzt kann ich ruhig sterben."

Der Band behandelt drei Themenbereiche: die Natur, den Menschen und zuletzt das "Leben als Leiden". Ihnen vorgeschaltet sind Überlegungen "[v]or Beginn". In ihnen legt Mayreder dar, inwiefern dem vorliegende Werk der Ehrentitel philosophisch zukommt. Nämlich "[s]ofern Philosophie Weltanschauungslehre bedeutet", nicht aber sofern Philosophie die "Kunstlehre des Denkens" ist; womit sie offenbar sagen will, dass es nicht für sich in Anspruch nimmt, die Kunst des Denkens zu lehren, sondern ein Gedankengebäude vorzustellen. Daran ist das Werk zu messen. Und tatsächlich, in das folgerichtige oder sonstige Denken führt das Buch nicht ein, wohl aber bietet es eine - wenn wohl auch nicht geschlossene - Weltanschauung. Diese, so hofft Mayreder, überschreite nicht die Grenze zum Metaphysischen. Gleichwohl erkennt sie, dass ihr Werk durchaus nicht immer "frei von Metaphysik" ist, insofern es Phänomene und Ereignisse "über erfahrbare Tatsachen hinaus" deutet. Zu diesem Zweck setzt die Autorin Wissenschaft und Religion zueinander ins Verhältnis. "Aufgabe und Wirkung" letzterer sei es, "unbezweifelbare, dauernde, über die individuelle Einsicht erhabene Erkenntnisse, sogenannte ewige Wahrheiten mit Offenbarungscharakter zu vermitteln und zu verteidigen" und somit "einen unverrückbaren, unantastbaren Halt zu gewähren". Wie Mayreder richtig erkennt, ist eine Wissenschaft, deren "Gesetz" die "freie Forschung" ist, und "die nichts als ein für allemal feststehend, als dem Zweifel und Gegenbeweis entrückt betrachten darf", dazu nicht in der Lage und kann daher auch "nicht die Stelle der Religion im menschlichen Geistesleben einnehmen". Soweit beschreibt sie die Differenz zwischen Wissenschaft und Religion also zutreffend. Wenn sie jedoch im weiteren erklärt, dass Wissenschaft und "Laienschaft" durch eine "unüberbrückbare Kluft" getrennt seien, da diese die Ergebnisse jener "gläubig hinnehmen muß, ohne daß er [der Laie] sie verstehen oder gar mit seinem Urteil prüfen könnte", so beschreibt sie tatsächlich gerade das Verhältnis zwischen den Glaubenssätzen des Klerus und der kirchlichen Laienschaft, nicht aber das zwischen Wissenschaft und wissenschaftlichen Laien.

Im ersten der drei Hauptabschnitte "Von der Natur" geißelt die Autorin das "grauenvolle System, Leben durch Tötung zu erhalten" und erklärt den Baum zur "vollendetste[n] Lebensform". Denn er bedürfe "keines anderen Lebewesens" um sich zu ernähren, sondern lebe von dem Laub, das er selbst zuvor abgeworfen hat, von den "Überreste[n] seiner abgestorbenen Artgenossen" und von "verwitterte[m] Gestein". Der Mensch, fordert sie dem zweiten Hauptabschnitt vorgreifend, solle "das mit Bewußtsein werden, was die Pflanze bewußtlos ist", in deren Bereich "Leben und Tod gleich leidlos" seien, die ohne Schmerzen 'gebäre' und "ohne Qual" sterbe. Auch habe die Pflanzenwelt mit den Früchten die "edelste Form der Nahrung" und mit den Blumen, die "in gewissem Sinn die Krone der Schöpfung" seien, die "schönsten und vollkommensten Lebenserscheinungen" geschaffen.

War für Karl Marx alle Geschichte eine Geschichte von Klassenkämpfen, so erklärt Mayreder die "Geschichte der Menschheit" im zweiten Hauptabschnitt des vorliegenden Buches mit mindestens ebensoviel Recht zu einer "Geschichte des Mordes". Doch kennzeichne nicht etwa "Bosheit" das menschliche Leben, sondern "Dummheit". Und da sich von allen "schlechten Eigenschaften" des Menschen "das Gegenteil" sagen lasse, sowie man "einzelne Personen" betrachte, könne man letztlich überhaupt nicht "mit Sicherheit" sagen, "was dem Menschen als Gattungswesen zukommt". Somit könnten keine sicheren Aussagen über "Artcharakter und insbesondere Artgrenze der Menschheit" getroffen werden. Fest stehe allerdings doch, dass "[d]er Mensch" eine "Zwischenstufe von Instinktwesen und Vernunftwesen" bildet. Dabei sei das "Fortschreiten von unvollkommenen Formen zu vollkommeneren" nicht nur der "Weg der Natur", sondern mit und in ihr auch der des Menschen, der mithin keineswegs den Endpunkt der Evolution bilde. Und hier setzt eine erstaunlich moderne Reflexion ein: Wolle man einwenden, "daß 'vollkommener' eine menschliche Bewertung sei", so wäre sie gerne bereit, statt dessen von einer Entwicklung "einfachere[r] zu immer komplizierteren" Formen zu sprechen. "Warum aber", fragt sie rhetorisch, "sollte die anthropomorphistische Betrachtung gegenüber der Natur nicht erlaubt sein?"

Im letzten, wichtigsten und umfangreichsten Kapitel über das "Leben als Leiden" erweist sich Mayreder in mancherlei Hinsicht als ebenso gelehrige wie originelle Schopenhauerschülerin. Etwa, wenn sie erklärt, "[d]as Streben nach Lustgewinn und Vermeidung der Unlust" erreiche sein Ziel nur bedingt, "da schon im Augenblick der Erfüllung die Lustbetonung sich zu verlieren beginnt", oder wenn sie konstatiert, "[u]niverseller" noch als das "Gesetz des Kampfes" herrsche das "Gesetz des Leidens" über dem "kreatürlichen Leben". Nicht der Kampf, sondern das Leiden sei dessen "tiefstes Problem". Mehr noch: Für den Menschen sei das "Problem des Lebens" gar mit dem "Problem des Leidens" identisch. Denn, so erklärt sie wiederum in Anlehnung an Schopenhauer, da der Mensch "auf der Stufenleiter der organischen Lebewesen das höchste" sei, leide er auch am intensivsten. Denn zu dem körperlichen Leid trete bei ihm das seelische, das "in der Natur ihresgleichen nicht hat". Hier scheint sie entweder ihre Ausführungen über die Bäume als vollkommenste Lebewesen vergessen zu haben, oder in der höchsten Stufe nicht zugleich die vollkommenste zu sehen. Doch dies sei nur nebenbei angemerkt.

Wichtiger ist, dass ihr zufolge das menschliche Leiden nicht etwa funktionslos ist, sondern die "Quelle seelischer Vervollkommnung" bildet. Denn nur indem das Leiden als etwas betrachtet wird, das "aus der Welt zu schaffen" ist, könne sich der Sinn, nicht des Lebens, sondern des Leidens erfüllen. Hier, im Kern ihrer Philosophie, löst Mayreder sich von Schopenhauer. Kommt bei ihm das Leiden erst mit dem Menschen aus der mit diesem Schritt überhaupt endenden Welt, so kann sich Mayreder angesichts des "nächtlichen Sternenhimmels, der uns die Unermesslichkeit des Weltalls mit seinen Milliarden Sonnen und Planeten offenbart", nur schwer vorstellen, "daß der Wille als metaphysisches Lebensprinzip diese ganze Erscheinungswelt dem menschlichen Bewußtsein mit der Aufgabe vortäuscht, sie durch Verneinung zu vernichten."

Man könne zwar wie Schopenhauer aus der "Verknüpfung von Bewußtsein und Leidverhängnis" durchaus den Schluss ziehen, "daß der durch den Intellekt sehend gewordene Weltwille sein eigenes Werk verneint und zu der Erkenntnis kommt, daß Nichtsein besser ist als Sein". Wenn dem Menschen aber die von Schopenhauer propagierte "Vernichtung des All-Lebens" qua Willensverneinung möglich sei, warum sollte er dann nicht auch die "Läuterung" des Willens zum Leben vermögen? Wäre es nicht möglich, dass gerade das Leiden das "Mittel" hierzu wäre? Dies angenommen, eröffne sich eine völlig "andere Weltinterpretation". Erst sie erlaube es, "dem Leben des Ganzen Sinn zu verleihen". Denn so, wie das Dasein nun einmal sei, gäbe es nur zwei Alternativen: entweder liege der Sinn des Lebens im Leiden oder es habe keinen. "Alles, was die pessimistische Lebensauffassung über die Flüchtigkeit des Glückes sagt, über die ewige Unbefriedigung des Strebens, das ruhelos von der Erfüllung hinweg getrieben wird, über das Leiden, das den Menschen beständig verfolgt", sei zwar "unwiderleglich", konzediert sie Schopenhauer und den seinen. Doch könne daraus "ein vom Pessimismus ganz verschiedener Schluß" gezogen werden, der besage, "daß das Leben dieser Unbefriedigung, dieser Ruhelosigkeit, dieser Leiden bedarf", nicht um Nichts zu 'werden', sondern "um etwas zu werden, was es auf keine andere Weise zu werden vermag."

Die "Unvollkommenheit" der "Einrichtungen" der Natur erklärt sich nun Mayreder zufolge daraus, dass das Leben ein stetes "Werden" ist, Vollkommenheit aber Stillstand bedeute. So bildeten "Sein und Werden, das Urphänomen des Lebens, vielleicht nur eine Bewegung im Kreise, vielleicht aber eine Parabel, die sich als Bewegung nach immer höheren Daseinszuständen in das Unendliche fortsetzt." Mayreders Philosophie bewegt sich auf diese von Ferne an die hegelianische Dialektik erinnernde, dabei jedoch ganz originäre Weise zwischen der Erlösungsphilosophie Mainländers und den einander ewig widerstreitenden Individualwillen des anderen Schopenhauerschülers Julius Bahnsen. So gelangt sie zu einem relativen Pessimismus, der besagt, "daß der Zustand der Gegenwart ein Herbst ist, dem noch ein Winter folgen muß, bevor es wieder Frühling werden kann."

Aus dieser Philosophie leitet Mayreder eine ethische "Urpflicht" ab, das Leiden, "als Erfüllung einer im Leben beschlossenen Forderung standhaft [zu] ertragen", ohne sich "in die Welt finden, wie sie nun einmal beschaffen ist", sondern ihr "ein ewiges Soll" entgegenzuhalten.

Mit dieser Forderung, zugleich Schluss- und Höhepunkt von Mayreders letztem Werk, könnte auch die vorliegende Rezension enden. Doch soll nicht versäumt werden, abschließend kurz auf die in dem besprochenen Werk allerdings eher beiläufigen Anmerkungen zur Geschlechterdifferenz der Feministin und - wie man heute sagen würde - Gender-Theoretikerin einzugehen.

Zwar äußert sich Mayreder über die Geschlechter und deren 'Aufgabenteilung' bei der Fortpflanzung weitgehend biologistisch, jedoch ohne einem essentialistischen Geschlechtsunterschied das Wort zu reden. Sei "die Aufgaben der Fortpflanzung" bei Fischen "unter beiden Geschlechtern gleich verteilt", erklärt sie, erhöhe sich "die Beanspruchung des weiblichen Teils" bei Säugetieren "in wachsendem Maße". So habe "[g]erade das weibliche Geschlecht [...] in seiner biologischen Laufbahn reichlich zu fühlen bekommen, daß die Natur keine gütige Mutter ist, sondern eher ein blinder Dämon, der in der Entwicklung der Lebewesen aus Zufälligkeiten Endgültigkeiten macht."

Den "äußersten Grad" erreiche "die Unsinnigkeit der elementaren Natur" jedoch erst im menschlichen Geschlechtstrieb. Das "eigentliche Gattungsmerkmal der Menschheit", der Intellekt führe dazu, das aus der "ungleichen generativen Belastung" eine der "schlimmsten Unzweckmäßigkeiten" resultiere, "die man der Natur nachsagen muß." Als Unterschied zwischen den Sexualtrieben der Geschlechter führt sie an, dass "in der psychosexuellen Beschaffenheit des weiblichen Menschen jene Herrschaftsimpulse fehlen, die der Mann in seiner sexuellen Anlage von Natur aus besitzt." Trotz alledem unterscheiden sich Mayreder zufolge die "zwei Geschlechter" nicht "wesenhaft" voneinander. Denn weit wichtiger als der Geschlechtsunterschied sei "jener zwischen dem Sinnenmenschen und dem Geistesmenschen".

Eine heute zumindest in Teilen befremdlich wirkende Argumentation. Wirklich bedenklich ist jedoch ein anderer Aspekt von Mayreders später Geschlechter- und Sexualtheorie. Ein "[g]roßer Mangel" des menschlichen Geschlechtstriebes, führt sie aus, sei, dass sein "Naturzweck", also die Erhaltung der Art, "im Bewußtsein des Individuums nicht zugleich mit ihm auftritt", was zu den "verhängnisvollsten Entartungserscheinungen", namentlich zu "seiner Beirrbarkeit durch Ablenkung auf gleichgeschlechtliche Personen" führe. Eine Homosexuellenfeindlichkeit, die sich weder aus Mayreders biologistischer Argumentation ableiten lässt - schließlich ist Homosexualität auch unter den verschiedensten tierischen Spezies verbreitet -, noch von heutigen FeministInnen gleich welcher Couleur geteilt wird.


Titelbild

Rosa Mayreder: Der letzte Gott.
Herausgegeben von Tatjana Popovic.
Böhlau Verlag, Wien 2008.
192 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783205777052

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